Geburtstrauma verarbeiten: Die Geburt hatte ich mir anders vorgestellt

Geburtstrauma verarbeiten

Hätte ich doch nur damals schon gewusst, wie man ein Geburtstrauma verarbeiten kann bzw. wie man damit umgeht, dann hätte ich mich wohl vorbereiteter gefühlt. Vielleicht.

Mehr als acht Wochen ist er nun her der Tag, an dem ich nachts aufwachte und wusste, jetzt geht es langsam los. Mehr als 24 Stunden später war der kleine Rubbelbatz bei uns. Wie schwer die Geburt unseres Kindes war, konntet ihr ja bereits in meinem Geburtsbericht und im Geburtsbericht vom Rubbelpapa erfahren. Auch, dass ich anfangs wirklich Schwierigkeiten hatte, mit der neuen Situation umzugehen und mir dadurch große Vorwürfe gemacht habe, habe ich nach langem Überlegen in einem Brief an mich mit euch geteilt. Neulich, als der Rubbelbatz bei einem Spaziergang doch mal auf meinem Arm eingeschlafen ist, habe ich im Magazin “unerzogen” (Ausgabe 3/2014) einen wirklich interessanten Artikel über die Verarbeitung von Traumata gelesen, in dem ich meine Situation durchaus wiedererkannt habe. Dass das, worin ich da gefangen war, ein Geburtstrauma sein könnte, war mir bisher noch nicht so richtig bewusst gewesen.

Was ist ein Geburtstrauma?

Der Autorin, einer Hebamme, zufolge, entsteht eine traumatische Erfahrung, wenn ein Mensch sich in einer Situation befindet, die er als lebensbedrohlich empfindet, aus der er aber keine Möglichkeit sieht, durch Kampf oder Flucht zu entkommen. Absolute Hilflosigkeit und der Situation ausgeliefert sein also. Die einzige Art für das menschliche Gehirn, mit dieser Situation fertig zu werden, ist, in eine Art “Starre” zu verfallen, um die Situation überstehen zu können. Diese Starre löst sich – je nach empfundener Dramatik des Erlebten – nicht unbedingt sofort wieder auf, wenn die Situation vorbei ist. Eine posttraumatische Belastungsreaktion ist geboren.

Das Leben ist bedroht, Kampf ist nicht mehr möglich, Flucht gelingt nicht. Alle erworbenen “Coping-Kompetenzen” werden verschlungen. Übrig bleibt der zarteste und schutzloseste innere Ich-Anteil, tief versteckt, abgekapselt, erstarrt und voller Panik. Lebendigkeit, Gefühle und Körpersensationen kapseln sich ab, das Nervensystem bleibt hoch alarmiert, wie “außer sich”, alle Sinne überwach, das Sprachzentrum ist blockiert. Das Gehirn löst automatische Überlebensreaktionen aus: Erstarren setzt ein. Die Symptome der posttraumatischen Belastungsreaktion beginnen.

 

Vor allem in dem Zustand, den sie als darauffolgend beschreibt, habe ich mich absolut wiedererkannt:

Wenn nun Ihr Umfeld von Ihnen erwartet, dass Sie Ihr neues Mutter-Leben sofort freudig aufnehmen (“Nun ist es doch vorbei und alles nochmal gut gegangen!”), und Sie nach Ihren alt-vertrauten Kräften suchen, werden Sie keine Antwort hören. […] Sie können zwar bald wieder einigermaßen funktionieren, aber das fühlt sich an wie ein Roboter ohne Gefühl, ohne Lebensfreude, und gar nicht wie Sie sich kennen.

Ganz genau so habe ich die ersten Tage und Wochen erlebt! Ich funktionierte, so gut wie möglich, wusste, dass das mein kleiner Sohn ist und ich mich ab jetzt um ihn kümmern werde – aber gefühlt habe ich es nicht so richtig. Dazu kam diese permanente Überforderung, körperlich wie geistig. Ich wusste ja, dass ich eigentlich so nicht bin, wartete auf mein “richtiges” Ich, das sich über mein Baby und unser neues Familienleben freuen kann. Je mehr ich mich körperlich erholte, desto mehr Aufgaben konnte mein Roboter-Ich übernehmen. Der Rest von mir blieb in der Überforderung stecken. Die Autorin des Textes nennt es “Fluchtimpuls“, dem man natürlich nicht nachgeben kann. Stattdessen wird die Erstarrung aufrechterhalten, man funktioniert. Dem Baby zuliebe.

Wie konnte ich mein Geburtstrauma verarbeiten?

Natürlich wird in dem Artikel nicht nur das Problem beschrieben, sondern auch ein Lösungsweg aufgezeigt. Ich war froh, zu lesen, dass wir ohnehin alles richtig gemacht hatten. Was eine Mutter in solchen Situationen braucht, ist ein verständnisvolles Gegenüber, das zuhört und beruhigt. Das einem sagt, dass das normal ist nach so einem Erlebnis und dass das Ganze Zeit braucht. Man muss die Gefühle zulassen. Außerdem ist viel Ruhe und Schlaf sehr wichtig. Da der Rubbelbatz in den ersten Wochen fast ununterbrochen geschlafen hat und sein Papa rund um die Uhr für uns da war, konnte ich das zum Glück. Und drittens braucht man mal ein wenig Zeit ohne Baby, um durchatmen zu können und das “alte Ich” wiederzufinden. Auch das hatte ich zum Glück immer mal wieder bzw. habe ich immer noch. Der Rubbelpapa nimmt den Kleinen dann in die Babytrage und die beiden ziehen um die Häuser. (Manchmal bekomme ich den Kleinen mit Brösel am Kopf oder einer klebrigen Stelle von einem Schluck Cola, der daneben ging, zurück, aber sonst klappt es immer gut.)

Dadurch kann sich das Nervensystem eines traumatisierten Menschen langsam entspannen, ent-starren sozusagen, und die Lebendigkeit, Stärke und Freude kommen zurück. Natürlich geht das nicht von heute auf morgen und braucht, wie gesagt, Zeit. An manchen Tagen wird die Überforderung vielleicht noch sehr stark zum Vorschein kommen, andere Tage fühlen sich fast “normal” an.

Ich jedenfalls kann mich noch gut an den ersten Vormittag erinnern, an dem sich endlich alles richtig anfühlte. Ich war körperlich endlich in der Lage, mich allein um mein Baby zu kümmern und vor allem emotional. Ich sah den kleinen Mann an, er sah mir ebenfalls in die Augen und wir lächelten beide. Ich hatte keine Angst, dass er gleich anfangen könnte, zu weinen. Dann würde ich ihn eben tragen und beruhigen. Ich war jetzt nicht mehr hilflos und überfordert, das konnten wir beide spüren. Ich war nicht gestresst, dass er vielleicht gleich schon wieder trinken möchte oder in die Windel macht. Dafür war ich doch da als Mama und das mache ich gerne.

Hin und wieder bricht auch jetzt noch ein Moment, in dem mir alles zu viel wird, über mich ein. Noch ist dann der Rubbelpapa gleich zur Stelle – bald muss ich es alleine schaffen. Aber ich bin mittlerweile sehr positiv gestimmt, dass mir das auch gelingen wird. Und zwar mir – nicht dem Roboter-Ich.

Fehlende Hilfe bei Geburtstrauma

Auch wenn bei uns zum Glück alles gut gegangen ist, frage ich mich oft, warum Ärzte und Hebammen manchmal so wenig aufklären? Die Ärztin im Krankenhaus hat einen Tag vor Geburtsbeginn noch einen Ultraschall gemacht, da der Termin überschritten war, und ich habe mit eigenen Augen gesehen, wie sie das Köpfchen vermessen hat. Kein Wort davon, dass dieser mittlerweile einen Umfang von 38 cm hat. Mein Gynäkologe meinte bei der Nachuntersuchung, “wenn man das gewusst hätte”, hätte man mir zu einem Kaiserschnitt geraten. Aber offensichtlich wusste niemand davon.

Ähnlich ist es wohl mit dem Thema Geburtstrauma, zumindest in unserem Falle. Ein wichtiger Punkt zur Verarbeitung des Erlebten, den auch die Autorin des Artikels erwähnt, ist ein Gespräch mit Ärztin bzw. begleitender Hebamme. Dies schienen die auch zu wissen, denn jede von beiden kam nach der Geburt noch einmal zu uns in den Kreißsaal und erklärte uns, warum wie gehandelt worden war und was passieren hätte können. Kein Wort von einem möglichen Geburtstrauma und dass sie auch darum dieses Gespräch mit uns führen. Wir haben die Situation zum Glück selbst verarbeitet und intuitiv richtig gehandelt, aber was ist mit Paaren, denen das nicht gelingt? Von einer Wochenbettdepression hatte ich zumindest vorher schon einmal gehört und auch, dass man sich dann nicht scheuen soll, Hilfe in Anspruch zu nehmen. Bei der Verarbeitung eines Geburtstraumas wird man dagegen relativ alleine gelassen. Und darüber wundere ich mich ehrlich gesagt sehr!

12 Kommentare zu „Geburtstrauma verarbeiten: Die Geburt hatte ich mir anders vorgestellt“

  1. Hallo Hanna!

    Das kenne ich zu gut, nur dass es bei mir nie richtig verarbeitet, sondern nach einigen Monaten lediglich verdrängt wurde. Du hast das Glück im Unglück, dass Du ein so liebes Baby hast, das Dir die Sache etwas erleichtert. Bei mir kam nach dem Trauma der Geburt gleich die schwere Zeit mit einem Schreibaby und ich weiß bis heute nicht genau, wie ich das alles überstanden habe.

    Fakt ist: All die Ängste und Sorgen sind jetzt wieder da. Weil das Trauma nie verarbeitet wurde. Weil ich nicht gehandelt habe, als es nötig war. Weil ich mir eingeredet habe, dass ich das allein schaffen muss.

    Also, falls Du Dir selbst nicht 100%ig sicher bist, dass Du Dein Trauma tatsächlich überwunden hast, such Dir Hilfe. Jetzt! Denn wenn irgendwann vielleicht ein Geschwisterchen für Deinen kleinen Schatz unterwegs ist und die Ängste wieder hochkommen, ist es zu spät um noch viel zu tun.
    Glaub mir!

    Und lass Dir von den anderen nicht erzählen, dass bei Ihnen alles perfekt gelaufen sei. Das ist sicher nur die halbe Wahrheit!

    Alles Liebe
    Nadine

    1. Liebe Nadine,

      vielen Dank für den Hinweis, ich werde nochmal in mich reinhorchen. Vielleicht hast du Recht und auch bei den anderen gibt es was, worunter sie leiden. Ich weiß auch nicht, warum das so ist bei Müttern, dass so viele vorzutäuschen versuchen, dass alles perfekt ist…

      Liebe Grüße,
      Hanna

  2. Ich habe ein bisschen das Gefühl, dass bei uns die Geburten sehr ähnlich verliefen. Auch hier ein KU von 38, ein Gewicht von fast 5 Kilo…und mitten im Kreissaal dann die Erkenntnis, dass das Baby zu groß sei und ein KS gemacht werden muss, bis es dann zu spät war und das Baby noch auf dem normalen Weg mit Glocke kam. Kein im Arm halten unmittelbar danach, da der Miniheld sofort zur Kinderärztin gebracht wurde. Erst 30 Minuten später war er gerwaschen und angezogen bei mir. Kein Nabelschnur durchschneiden durch den Vater. All diese Dinge, die dir andere Mütter mit so viel Wärme berichten. Der erste Schrei blieb aus, die erste Nähe direkt nach den Anstrengungen…. selbst am nächsten Morgen war ich zu schwach, um mein Kind alleine zu wickeln.Alles tat weh, der Kreislauf war ständig weg und ich fiel sogar einmal aus dem Bett, nur weil ich mich aufsetzen sollte…
    Da fragt man sich wirklich, wie du sagst, warum nicht vorher schon die Entscheidung mit dem Kaiserschnitt gefällt wurde. Mindestens der Frauenarzt hatte immer schon angedeutet, dass es ein großes Kind werden würde. Im Krankenhaus dann angeblich das Gegenteil (ich war 10 Tage am Ende drüber)…ach alles war so chaotisch so…
    Manchmal sagen mir die Leute, dass sie nicht gedacht hätten, dass ich nach dem Erlebnis noch eine 2. Schwangerschaft wage. Aber wie du sagst…es ist ja alles nochmal gut gegangen, nicht wahr?
    Dass man nur fast 2 Monate brauchte, um selber zu Heilen…nun ja…

    Ich habe mich viel zurück gezogen und einfach die Zeit mit meinem Baby genossen. Ich wollte keine Menschen um mich herum, nur Zeit mit Mann und Baby…genießen, wofür ich so gelitten habe. Das hat mir geholfen. Und als es mir dann besser ging, war ich auch offen für anderes.

    1. Liebe Sari,

      ich gebe es zu, der Award für die mieseste Geburt geht eindeutig an dich. Ansonsten hört sich das ganze ähnlich an, wie bei mir. Ein Kaiserschnitt kam bei mir schon gar nicht mehr zur Sprache, der Kopf war schon weit im Becken als die gemerkt haben, dass nichts mehr vorwärts geht. Waren ja noch zahlreiche weitere Geburten zu betreuen, wie das jetzt in Krankenhäusern leider üblich ist. Aber warum durftest du dein Kind nicht halten nach der Geburt? Bei uns wurde er erst nach ca. 1 Stunde gewogen und sauber gemacht, und das auch direkt im Kreissaal, sodass wir dabei waren.

      Aber ja, wie du sagst, jetzt ist ja alles gut gegangen 😉 der Satz hat einen bitteren Beigeschmack, aber ich sag ihn selbst auch so oft. Denn ich finde, faszinierenderweise hat man als Mutter die Eigenschaft, diese Tortur als weniger schlimm einzustufen, solange es dem Baby gut geht.

      Liebe Grüße,
      Hanna

      1. Nach langer Zeit noch die ANtwort auf Deine Frage: Ich durfte ihn nach der Geburt damals nicht halten, weil sie ihn direkt zur KInderärztin gebracht haben. Er blieb damals mit der Schulter stecken und es musste überprüft werden, ob irgendwelche Nerven verletzt worden waren und ob der Arm überhaupt normal arbeitet. Die Ärztin war in einem anderen Raum und so nahmen sie das Kind, schnitten schnell die Nabelschnur durch und brachten es zu der Ärztin. In der Zwischenzeit wurde ich genäht und schlief dabei immer wieder weg. Nach ungefähr 30 Minuten brachten sie dann das Kind zu mir. Der Arm bewegte sich zwar vergleichsmäßig langsam, war aber soweit ok und schließlich war dann auch alles normal.

  3. Hallo! Es tut irgendwie gut zu lesen, dass es anderen auch so geht. Ich habe lange, vielleicht zu lange, alles verdrängt bis ich letztens unter Freundinnen geweint habe, als das Thema Geburt auf kam. Meine Maus war damals bestimmt schon 10 Monate alt. Einige Wochen später sprach mich eine Freundin darauf an und ich merkte direkt wieder dieses Gefühl und die Tränen in mich aufsteigen. Sie bat mich doch wenigstens unsere Hebamme zu fragen ob ich mir Hilfe suchen solle. Das hab ich mir bisher aber noch nicht getraut, aus Scheu, sofort wieder weinen zu müssen. Jetzt habe ich erst einmal im Netz dazu gelesen um einschätzen zu können was ich tun soll oder wie ich mich selbst am besten helfe.
    Ich habe damals bei der Geburt wahnsinnige Schmerzen gehabt. Mir auf jeden Fall eine PDA gewünscht aber letztendlich nichts mehr bekommen da mir eine umstrittene Hebamme dazu geraten hatte erst ganz spät ins KH zu kommen. Wie gesagt, alles ging dann ganz schnell und Mega heftig. Schmerzen so unbeschreiblich- unfähig mich wie vom Arzt gewünscht, zu bewegen/ anders hinzulegen oder noch irgendwie gescheid zu atmen. Dann keine Nachwehen um die riesige Plazenta abzustoßen. Gefühlt war die Plazenta wie ein 2. Kind zu bekommen. Dann unmengen Blut verloren dass kein Blutdruck mehr meßbar war. Alles wurde hektisch, mein Kind erst mal mit dem Papa in ner Ecke geparkt und gleichzeitig die nächsten Frauen in den Startlöchern die zur Einleitung kamen.
    Als die mich wieder stabilisiert hatten, hat man mir die Kleine kurz gezeigt und für das Familienfoto auf die Brust gelegt. Halten durfte ich nicht, da zu schwach. Gleichzeitig wischte die Putzfrau schon um uns rum.
    Ich hab lange keine Bindung aufbauen können weil alles immer wuselig war. Der ganze Besuch und zuhause ein Schreikind. Ich habe mich für meine Gesanken geschämt, mein altes Leben zurück haben zu wollen. Erst nach den 3 Monatskollieken und als auch mal ein Lächeln zurück kam, habe ich mich so langsam in meine Tochter verliebt. Vorher hat man halt einfach nur funktioniert. Dann habe ich das alles einfach verdrängt womit ich erst auch gut gefahren bin. Doch falls irgendwann noch mal ein Geschwisterchen unterwegs sein sollte, werde ich wohl Amok laufen, aus Angst vor das Bevorstehende. Meinem Fauenarzt habe ich mal gesagt, dass ich niewieder sowas erleben will und ich nur ein 2. Kind bekomme, wenn er mir einen Kaiserschnitt macht! -aber will ich das? Schön soll das auch nicht sein und vielleicht bekomme ich dann die nächste Panik?! Und sicherlich hat man trotzdem erst noch Angst, dass man evtl doch noch mal das erleben muss…

    1. Liebe Sonja,

      vielen Dank für deine Rückmeldung – genau deshalb schreibe ich auch über solch unangenehme Themen. Ich möchte Menschen wie dir, die ähnliches erlebt haben, zeigen, dass das “normal” ist und man sich dafür nicht zu verstecken braucht.
      Ich hoffe, dass die Zeit bei dir sprichwörtlich die Wunden heilt und du bis zu einem potentiellen zweiten Kind gut damit umgehen kannst. Meiner Erfahrung nach wirkt Reden wirklich Wunder.
      Alles Gute für dich und deine kleine Familie!
      liebe Grüße,
      Hanna

  4. Hallo Hanna,

    soeben bin ich quasi ausversehen über deinen Artikel gestolpert. Er ist zwar schon etwas älter aber das spielt denke ich keine Rolle. Unser Zwergenmensch ist im August 2016 geboren worden. Und als ich deinen Artikel gelesen habe, sind mir soeben die Tränen in den Augen gestanden.

    Ich kenne das! Nicht dass ich einen Namen dafür gehabt hätte bevor ich bei dir von einem Geburtstrauma gelesen habe, dennoch: Ich kenne das!

    Ich hatte leider gar keine Wehen und bei ET + 9 wurde entschieden, die Geburt einzuleiten. Geklappt hat es letztlich mit der Tablette. Leider gar nicht so, wie es gewollt war. Ich hatte von der ersten bis zur letzten Wehe keine einzige Pause. Als es los ging, war mir sofort klar, hier stimmt was nicht. Geglaubt hat mir keiner. Die Hebamme auf der Schwangerenstation, auf der ich zwecks der Einleitung lag, war so frei mir zu sagen, ich solle mich nicht so anstellen, alle Mütter hätten das schon durchgemacht. Sie hat mir zugemutet 30(!!) Minuten im Wehenzimmer am CTG zu liegen. Das war zu diesem Zeitpunkt das schlimmste! Ich konnte nicht liegen. Ich habe mich gewunden wie ein Fisch auf den Trockenen. Und das auf einer schmalen Liege. Im CTG war im Übrigen schon zu diesem Zeitpunkt zu erkennen, dass es keine Pausen gab. Nachdem ich dann in den Kreißsaal sollte, haben die Damen das Bett in den ich lag, mitten auf dem Gang stehen lassen, um meine Sachen zu holen. Ich schrie vor Schmerzen ohne Pause. Wie ich in den Kreissaal kam weiß ich nicht mehr. Auch da wurde die Dramatik des Ganzen nicht erkannt. Bei mir war eine Schwesternschülerin und mein man. Die Schülern war deutlich überfordert. Sie hat mich immer wieder abgemahnt doch richtig zu atmen, wegen der Herztöne, aber ich konnte nicht. Eine Wehe gab die andere. An die genauen Abläufe habe ich keine Erinnerung mehr. Was sich mir eingeprägt hat, sind die aufgerissenen Augen der Schülerin die mir dicht über meinem Gesicht befiehlt: Atmen! Atmen. Ich habe nicht ein mal die Position gewechselt. Mir wurde Lachgas angeboten. Dieses konnte ich nicht benutzen, da ich nicht genügend einatmen konnte. Ich habe das Bett nicht ein mal verlassen. Ich bekam irgendwann eine Aufklärung wegen einer PDA, vermutlich nach dem Lachgas. Aber der Narkosearzt war nicht da. Irgendwann bekam ich so starke Presswehen, dass ich pressen musste. Die Schwesternschülerin wurde panisch. Sie befahl mir nicht zu pressen, der Muttermund sei vor 20 Minuten erst bei 5 cm gewesen. Auf meine gepresste Erwiderung, ich muss, rannte sie los die Hebamme holen. Ich presste weiter, ich hatte keine Wahl. Als die Hebamme kurz darauf ins Zimmer sprintete war der Muttermund offen. Das Baby kam mit der nächsten Presswehe. Im Anschluss war ich so erschöpft, dass ich nicht mal das Geschlecht des Babys erfuhr. Die gesamte Geburt hatte nur 2,5 h gedauert. Anstatt dass allerdings Ruhe einkehrte würde es plötzlich wieder hektisch. Ich hatte und bekam auch keine Nachwehen. Die Platzenta löste sich nicht. Nach nicht einmal 30 Minuten würde ich in Vollnarkose gelegt und in Anwesenheit von Vater und Baby eine Stunde lang operiert. Ich verlor fast 3 Liter Blut und wäre fast gestorben. Davon abgesehen kann ich mich an die ersten Minuten mit meinem Kind nicht ein mal mehr richtig erinnern. Wenige Wochen später musste ich erneut operiert werden, da die Ärzte nicht die gesamte Plazenta entfernen könnten.

    Es kam keiner und hat mit mir geredet. Bis heute belastet mich das Erlebnis schwer. Wann immer ich von de Geburt erzählen und mit jemandem reden wollte, hieß es aber es ist doch alles gut gegangen. Für mich ist es aber nicht gut. Mir fehlen die ersten Stunden meines Kindes. Ich habe Probleme mit Intimität mit meinem Mann. Und bis heute könnte ich heulen, weil sich niemand dafür interessiert wie es mir damit geht. Jetzt habe ich wenigstens einen Namen dafür.

    Vielen Dank

    Conny

    1. Liebe Conny,

      vielen Dank für diesen offenen Kommentar, es ist sicher nicht einfach, das niederzuschreiben. Aber manchmal hilft es und muss einfach raus.

      Ich hatte beim Lesen zuerst Gänsehaut, dann ebenfalls Tränen in den Augen und am Ende einen dicken Kloß im Hals. Ich kann nur versuchen, mir vorzustellen, wie Du Dich gefühlt haben musst. Und heute noch fühlst. Was Du erlebt hast, grenzt an Gewalt in der Geburtshilfe. Vielleicht hilft es Dir auch, darüber etwas zu lesen.

      Und ja, es ist alles gut gegangen. Dein Kind ist gesund. Wie meines. Das ist das Wichtigste, natürlich. Aber dieser Fakt nimmt Dir nicht das Recht, unter der Art, wie dieses gesunde Kind geboren wurde, zu leiden. Unter dem Gefühl der Hilflosigkeit und des Ausgeliefert seins an Menschen, die sich zu wenig kümmern. Egal, welche guten Gründe das Klinikpersonal hatte (Überforderung, Unterbesetzung, mangelnde Ausbildung bei der Schülerin), das Erlebnis ist und bleibt traumatisch für Dich. Egal, ob eine Million andere Frauen das ohne Trauma durchlebt haben. Das musst Du Dir nicht kleinreden lassen durch den Fakt, dass Du lebst und Dein Baby lebt und Du nicht verblutet bist.

      Mein Mann hat den Kommentar heute früh schon vor mir gelesen und Vorschläge, wie Du Dir Hilfe holen kannst, waren das erste, was er mir erzählt hat, als ich aufwachte. Ich schreibe Dir dazu die kommenden Tage noch einmal eine private E-Mail, ich hoffe, das ist okay.

      Ganz allgemein kann ich Dir nur raten: Reden, reden, reden. Ich weiß, dass es schwierig ist, vor allem Jahre später. Aber es hilft!

      Fühl Dich virtuell gedrückt und verstanden,
      Hanna

  5. Mädels, auch ich sitze mit im boot bei einer Horror Geburt. Was mir geholfen hat war die Seite ROSES REVOLUTION und ein Bericht über das Krankenhaus zu schreiben. Es bringt mir das erste verlorene Jahr mit meinem Sohn nicht wieder was ich nur depressiv werden im Nebel erlebt habe aber es schützt vllt andere Frauen davor in diese Klinik zu gehen die vielen Frauen so ein schlimmes Erlebnis beschert hat.

    1. Hallo Elly,

      schön, dass Du einen Weg gefunden hast.

      Ich bin mittlerweile mit dem zweiten Kind schwanger und denke natürlich viel über die Geburt nach. Mir hat das Buch “Meisterin der Geburt” von Jobina Schenk sehr weitergeholfen – und die Augen geöffnet. Denn lange wusste ich gar nicht, woher dieses Gefühl, dieses Trauma kam. Jetzt denke ich, dass es mein eigener “Fehler” war. Ich habe die Verantwortung für meine Geburt, meine Gesundheit und mein Kind an fremde Menschen in einer fremden Klinik abgegeben. Das hat bei mir ein Gefühl von Ausgeliefert sein, Überrollt werden oder wie auch immer man es ausdrücken möchte, hinterlassen, das ich nie wieder spüren will.

      Ich wünsche Dir auch alles Gute,
      liebe Grüße,
      Hanna

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