Die allerbeste Freundin von damals

Seit über vier Monaten wohne ich nun bei meinen Eltern. In dem Ort, an dem ich meine Kindheit und Jugend verbrachte. In dieser gefühlten Einöde, die ich mit 19 Jahren nach dem Abitur verließ und an die ich bisher nur für kurze Zeit zurückkehrte. Viele meiner Freunde und früheren Freunde haben es ebenso getan. Sind weggegangen. In den letzten Tagen treffe ich immer wieder Menschen, die mich an dieses alte Leben erinnern. An das frühere Ich. An Fehler, die ich gemacht habe. Die mich aber auch daran erinnern, was für schöne Tage ich dort hatte und was für wertvolle Erfahrungen und Erinnerungen in der Einöde liegen.

Könnt ihr euch noch gut an eure Kindheit erinnern? Mir fällt es manchmal schwer. Viele Dinge hatten damals ihre eigene Logik oder sind ganz selbstverständlich passiert. Jetzt, als Erwachsene, frage ich mich, warum.

Die allerbeste Freundin

In der Grundschule hatte ich eine beste Freundin. Wir waren wie Pech und Schwefel, haben Tag und Nacht zusammen verbracht. Sie lebte mit ihren Eltern auf einem Einöd-Hof nicht weit von uns. Dort gab es Pferde und Hunde und noch mehr Platz, als in meinem Elternhaus. Ich war sogar dabei, wenn die Familie im Sommer in das Ferienhaus in der Toskana fuhr. Alles war ganz selbstverständlich und es war eine wundervolle Zeit. Alles war möglich, die Welt gehörte uns und war voller Wunder, Spiel und Freude. Manchmal verbrachten wir den ganzen Tag mit ihrem Pferd im Wald. Ritten ein wenig umher, spielten am Bach oder auf den Bäumen. Die Natur war wunderschön und alles, was uns umgab, war als Spielzeug geeignet.

Wir schliefen an den ungewöhnlichsten Orten – in der Badewanne, im Schrank oder auf dem Heuboden. Einfach nur, weil wir Spaß an diesen verrückten Dingen hatten. Mit ihr war es nie langweilig, uns vielen immer tolle Sachen ein. Und wenn wir nur dalagen und die neuesten Hits der 90er hörten. TicTacToe und Whigfield oder ähnliche Lieder.

Ich kann mich nicht erinnern, dass wir jemals zerstritten waren. Wenn doch, war es offensichtlich schnell wieder vergessen.

20 Jahre später

Wie es meiner besten Freundin von damals geht? Sie hat zwei Kinder und lebt mit ihrem Mann in Berlin. Das weiß ich, weil ich gerade zufällig mit ihrer Mama im Zug saß. Und sie danach auf Facebook gestalkt habe. Traurig, oder?

Was war nur passiert mit uns? Hatten wir gestritten? Hatte eine von uns sich plötzlich stark verändert?

Keinesfalls. Alles, was „passierte“ war, dass sie nach der vierten Klasse die Schule verließ und in der benachbarten österreichischen Stadt zur Schule ging. Nur das. Zack. Weg aus meinem Leben. Meine allerbeste Freundin.

Von einem Tag zum anderen hörten wir auf, zu telefonieren, hörten auf, uns zu treffen. Ich fragte nie, wie die neue Schule ist, sie fragte nicht mehr, ob ich nachmittags zu ihr komme. Klingt merkwürdig? Noch viel merkwürdiger finde ich es im Nachhinein, dass ich mich nicht einmal darüber wunderte. Das einzige Mal, als ich wirklich überlegte, sie anzurufen, war Jahre später, als ich erfuhr, dass ihr Papa, den ich natürlich auch sehr gern gehabt hatte, unerwartet verstorben war. Aber aus Angst und Unsicherheit habe ich auch das nicht getan. Ich dachte, ich könne doch nicht aus heiterem Himmel jetzt plötzlich anrufen.

Dieses Verhalten hat mir in den folgenden Jahren oft leid getan. Manchmal haben wir uns aus der Ferne noch gesehen. Am Badesee oder auf Partys. Nie ist jemand offen auf den anderen zugegangen und wir haben maximal ein paar Worte gewechselt. Wie Unbekannte. Unbekannte, die einst mehr als vertraut waren.

Und je mehr Zeit verging, desto weniger traute ich mich, das zu ändern. Ich wusste doch gar nicht mehr, wer sie war. Sicherlich hatte sie sich sehr verändert. War ganz oberflächlich und doof geworden. Oder wusste auch gar nicht mehr so richtig, wer ich war. Manchmal ist man in seiner Jugend schon wirklich doof und ignorant. So wusste ich auch nicht, dass sie die ganzen letzten Jahre, die ich in Berlin war, ebenfalls dort gelebt hat. Mit ihrem Sohn, der nicht einmal ein Jahr älter ist als meiner.

Heute, viele viele Jahre später, habe ich endlich etwas getan. Nein, ich habe nicht angerufen. Hätte ja nicht einmal ihre Nummer. Aber ich habe ihr geschrieben. Dass ich ihre Mama im Zug getroffen habe und mich freuen würde, wenn sie sich mal meldet. Denn die Wahrheit ist, dass ich mich immer gefreut hätte, wenn sie sich mal meldet. Eine Weile war ich zu klein, um das zu wissen. Danach war ich zu stolz und ignorant und dann einfach zu ängstlich und beschäftigt. Aber immer würde ich wissen wollen, wie es meiner allerbesten Freundin von damals geht. Würde ihre Kinder kennen lernen wollen und ihren Mann und die Frau, die sie geworden ist.

4 Kommentare zu „Die allerbeste Freundin von damals“

  1. Oh ja! Das kenne ich! Ich habe auch eine Freunfin, die kenne ich seit ich 2 bin… die Grundschulzeit waren wir immer zusammen, dann ging ich aufs Gymnasium in die nächste Stadt, sie auf die Regelschule im Dorf, da wurden unsere Treffen schon weniger, dann zog sie 25 km weit weg, da sagen wir uns nur noch in den Ferien. Dann mit 18, als wir beide den Führerschein hatten, da trafen wir uns wieder öfter… unsere ersten Freunde verstanden sich gut. Dann trennte ich mich und mein jetziger Mann kam mit ihrem damaligen nicht gut klar. Dann trennte sie sich und wir bekamen beide Kinder und haben uns das letzte Mal vor 2 Jahren gesehen, warum? Keine Ahnung? Unsere Männer haben sogar den gleichen Namen, unsere Mütter treffen sich fast jede Woche auf ein Schwätzchen… gut, wir wohnen ca. 200 km auseinander… ich schreibe sie wohl mal an!

  2. Liebe Hanna, ich wünsche dir dass sie das hier liest. Und du eine positive Antwort auf deinen Brief bekommst. Jetzt sind wir so viel klüger als damals…und trotzdem noch lange nicht schlau. Lg, deine Babsi ?

    1. Liebe Babsi,

      tatsächlich hat sie das hier noch am selben Abend gelesen – ich hatte sie ja angeschrieben und sie wollte mal sehen, “was ich so mache”. Sie war sehr gerührt und weiß selbst auch nicht, was eigentlich mit uns passiert ist damals.

      Wenn sie das nächste Mal in unserer Nähe ist, wollen wir uns treffen und (wieder) kennenlernen.

      Dich würde ich übrigens auch gerne mal wieder sehen!

      Liebe Grüße,
      Hanna

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