– Reformpädagoge und Kinderpsychologe Wolfgang Bergmann, verstorben 2011
Inhaltsverzeichnis
Nach unserem Artikel über das Langzeitstillen hat uns viel Feedback erreicht. Auch eine Nachricht von einer Leserin, die mich wirklich geärgert hat (also nicht die Leserin, sondern das, was sie beschrieben hat). Leider war das nicht das erste Mal, dass eine ähnliche Problematik an mich herangetragen wurde: eine Mutter, die für ihr Baby sorgen will, es tragen will, Stillen nach Bedarf praktiziert und zwar solange es das Baby und Sie möchte. Eine Mutter, die immer reagiert, wenn ihr kleines Baby weint und sie braucht. Kurz, eine Mutter, die so mit ihrem Baby umgehen möchte, wie es ihr intuitiv richtig erscheint und wie ich es mir für alle Babys und Kinder wünschen würde: liebevoll, bedürfnisorientiert, verständnisvoll und nachsichtig. Eine Mutter, die für ihr Baby so die optimale emotionale Sicherheit und das Gefühl von Geborgenheit bieten will.
Verunsicherung durch Kritik am Erziehungsstil
Und dann kommt der Partner, die Familie oder andere aus dem sozialen Umfeld und reden auf sie ein. Sie würde das Kind verwöhnen, zu einem Weichling erziehen. Das Kind würde nie selbständig werden, müsse jetzt doch mal lernen, im eigenen Bett zu schlafen. Wie lange sie denn noch stillen wolle, das lauge sie doch zu sehr aus und jede Mutter brauche irgendwann wieder Zeit und ihren Körper für sich. Sie würde das Kind nur an sich binden wollen und von sich abhängig machen. Viele berichten auch von Ärzten, die ihnen Angst machen mit gesundheitlichen Risiken des Stillens und regelrecht Vorwürfe machen. Wenn es nach den Kritikern geht, dann kann man scheinbar auch Babys durch Tragen verwöhnen und verhetscheln. Als würde dies negativen Einluss auf die Charakterbildung eines Säuglings ausüben.
Was mich an solchen Kritikern so ärgert
Auch wenn mich diese Dynamik nur peripher betrifft (aber ja, auch mir wurde schon von meiner eigenen Mama angeraten, lieber abzustillen), ärgert es mich fürchterlich. Denn leider sind nicht alle Frauen so selbstbewusst und standhaft wie die Leserin mit der Nachricht – sie hat sich von dem Vater des Kindes getrennt, weil er nicht akzeptieren konnte, dass sie für ihr Kind da sein möchte ohne wenn und aber – und knicken irgendwann ein. Kinder werden ins eigene Zimmer gelegt, Schlaftrainings unterzogen, abgestillt, zur frühzeitigen Selbständigkeit gedrängt.
Mich ärgert das! Ich mag Kinder und ich wünsche ihnen, dass sie behütet und geliebt aufwachsen dürfen. Jedes einzelne. Weil jedes Kind ein einzigartiges, großartiges Wesen ist, das voller Liebe zu uns auf die Welt kommt und nichts anderes als Liebe verdient hat!
Ich weiß, dass manche meine Artikel etwas dogmatisch und belehrend finden. Aber mir tut es wirklich im Herzen weh zu sehen, wie manche mit ihren Kindern umgehen – und das nicht, weil sie schlechte Mütter wären oder ihre Kinder nicht lieben, sondern weil sie einfach schlecht beraten werden, gedrängt, oder denken, es müsste so sein. Weil sie es so vorgelebt bekommen. Schon einige Male habe ich Mütter kennengelernt, mit denen ich letztlich nichts mehr unternehmen konnte, weil mir ihre Kinder so leid taten. So süße kleine Wesen, die dann im Kinderwagen schreien mussten oder hungrig warten, weil die Zeit bis zur nächsten Planmahlzeit noch nicht um war. Es steht mir nicht zu und es würde auch nichts bringen, dann etwas zu sagen. Aber ich kann auch nicht zusehen. Wer allerdings hier auf mein Blog kommt, der hat sich entschieden, meine Meinung und meinen Weg zu verfolgen und hier darf ich aussprechen, was ich denke.
Verwöhnt eure Kinder!
Und meine Meinung ist: Jedes dieser vertrauensvollen, schutzlosen kleinen Menschlein hat es verdient, verwöhnt zu werden!
Wir Mamas dürfen uns erlauben, sie zu verwöhnen, so wie unser Herz es uns sagt. Sogar als schwangere Mama darf man sein Baby im Bauch verwöhnen, solange es dem Kind und seiner Mutter gut tut. Es wird nichts Schlimmes passieren! Neugeborene, Babys und Kinder werden nicht zu Weichlingen heranwachsen und auch nicht zu Tyrannen. Sie werden all die Liebe, das Selbstbewusstsein und den Rückhalt, den wir ihnen gegeben haben, in sich tragen – ihr Leben lang.
- Sie werden umso fröhlicher in die Welt hinausgehen, um sie kennenzulernen und umso lieber wieder zu euch nach Hause kommen.
- Sie werden keine Angst haben, von anderen Menschen ausgelacht, herabgesetzt oder nicht respektiert zu werden, wenn sie dieser Situation zu Hause nicht ausgesetzt waren.
- Sie werden keine emotionale und keine körperliche Gewalt von anderen dulden, wenn sie das in ihrer Kindheit nicht erdulden mussten.
- Wenn sie Menschen treffen, die ihnen nicht gut tun, werden sie sich umdrehen und weggehen – weil sie wissen, wie es sich anfühlt, wenn Menschen gut zu ihnen sind.
- Sie werden lernen zu lachen, zu teilen, zu vergeben und zu lieben.
- Angst, Einschränkung, Selbstzweifel und Gehässigkeit werden ihnen fremd sein und sie werden sich mit Menschen umgeben, denen das ebenso fremd ist.
All diese Grundsteine werden so früh im Leben eines Menschen gelegt und es liegt in unserer Hand, sie bestmöglich zu unterstützen.
Hört sich so einfach an? Ist es auch! Kinder erziehen ist keine Wissenschaft. Wir haben alles, was wir brauchen in uns. Es ist nicht immer alles heiter Sonnenschein, werden jetzt viele denken. Muss es auch nicht sein. Auch wenn es uns als Eltern einmal nicht gut geht, zu viel wird, auf die nerven geht, widerspricht das nicht einem liebevollen und respektvollen Umgang. Jedes Kind kann verstehen, wenn man ihm erklärt, dass man jetzt mal ein wenig Ruhe braucht. Auch diese Seiten gehören zum Leben und bieten wertvolle Erfahrungen. Viele Kinder, mit denen ich zu tun hatte, reagieren auf eine solche Aussage sehr verständnisvoll und liebevoll. Sie sind dann ruhiger, wollen kuscheln und helfen, dass es den Erwachsenen besser geht.
Wissenschaft stütz Intutition: Babys kann man nicht verwöhnen!
Warum ich mir so sicher bin, dass das alles so hinhaut? Zum einen, weil ich es selbst die letzten 9 Monate mit meinem Baby erlebt habe. Zum anderen braucht man sich nur die aktuelleren psychologischen Erkenntnisse zu Gemüte führen, die in Zeiten des Internets jedem zugänglich sind.
Tatsächlich ist es nämlich so, dass man Babys, die jünger als 6 Monate sind, gar nicht verwöhnen kann. Sie haben noch nicht die geistige Kapazität, so etwas wie Berechnung oder Systematik hinter ihrem Handeln zuzulassen. Jedes ihrer Bedürfnisse ist wichtig und grundlegend und sollte auch erfüllt werden.
Je mehr wir auf unsere Babys in diesem frühen Stadium der Entwicklung eingehen, desto mehr Vertrauen in die Eltern und Selbstvertrauen in die eigenen Fähigkeiten, mit den Eltern zu kommunizieren, werden sie entwickeln. Eine sog. sichere Bindung zur Bezugsperson (meist Vater oder Mutter) ist für das spätere Leben von immens großer Bedeutung. Ein Zuviel an Liebe, Zärtlichkeit und Zuwendung kann man in dieser Zeit nicht geben.
Danach wird es zwar langsam wichtiger, dass das Kind auch Grenzen kennenlernt, allerdings muss es diese nicht in Form von Liebes-, Aufmerksamkeits- oder Nahrungsentzug erfahren. Es reicht, wenn manche Orte oder Gegenstände einfach nicht erlaubt sind oder die Eltern einfach mal aushalten, dass das Kind sich über etwas ärgert und nicht sofort nachgeben. Das sind meiner Meinung nach Grenzen, die sich ganz natürlich ergeben. Dazu braucht man keine Erziehungsratgeber. Ansonsten braucht ein Baby, auch wenn es älter als 6 Monate ist, noch sehr viel Unterstützung, Verständnis und Liebe, um sich weiterhin sicher zu fühlen und frei entfalten zu können. Deshalb bin ich auch der Meinung, dass man Neugeborenes nicht durch Tragen im Tragetuch verwöhnen kann. Ebenso bin ich der Meinung, dass wir unser Kind nicht verwöhnen, wenn wir es beim Einschlafen helfen (Familienbett, Gute-Nacht-Lieder etc.) und es nicht alleine im Zimmer schreien lassen.
Kann man sein Baby verwöhnen?
Ja, das kann man. Allerdings gilt auch bei älteren Babys und (Klein)kindern: Zu viel Liebe, Verständnis, Zärtlichkeit kann keinen Schaden anrichten. Zu viel Interesselosigkeit, materielle Geschenke und Medienkonsum schon.
Wer seinem Kind alles kauft und erlaubt, um unangenehmen Diskussionen zu entgehen und das Kind vorübergehend glücklich zu machen, “verwöhnt” es tatsächlich im negativen Sinne des Wortes.
Zum Eltern sein gehört schließlich auch, sich unangenehmen Situationen und Diskussionen auszusetzen und dem Kind echte Zeit und Aufmerksamkeit zu schenken. Nur weil das Kind vor dem Fernseher, der Playstation, dem neuen Spielzeug oder dem eigenen Smartphone ruhig ist, heißt es nicht, dass ihm das gut tut. Kinder brauchen echten Input. Die Möglichkeit, ihre Fantasie zu entfalten und anregende Erfahrungen zu machen. Das funktioniert super im Umgang mit anderen Menschen, Tieren, oder in der freien Natur. Vieles davon erfordert von uns Erwachsenen Zeit und Aufmerksamkeit und ich finde, die sind wir unseren kleinen Engeln schuldig.
Dem habe ich nichts hinzuzufügen!
🙂
Zunächst: Ich finde den Beitrag sehr sehr schön, wenn ich auch nicht mit allen Punkten konform gehe. So ist es aber im Leben, würden wir alle die gleiche Meinung vertreten, bräuchte es ja solche Posts nicht ;). ABER: Selbstbewusst und standhaft sind also nur Mütter, die statt mit ihrem Partner Kompromisse eingehen, gleich die Trennung in Erwägung ziehen? Zumindest stößt mir dieser Part in deinem Blogpost etwas sauer auf. Klar geht das Kind vor, allerdings sehe ich es nicht so, dass in der Partnerschaft ein Pausebutton gedrückt wird. Die Frage ist: Kann man nicht eine gemeinschaftliche Lösung finden? Jetzt hat die Mutter was sie will, sie kann das Kind so erziehen wie sie möchte, hat ihm jedoch etwas unglaublich wichtiges versagt: Den Papa.
Ich kenne natürlich nicht den gesamten Hintergrund in dieser Paargeschichte, daher kann es natürlich sein, dass in diesem Fall eine Trennung wirklich gerechtfertigt war. Mir geht es nur um die Darstellung in diesem Post. Ich habe das Gefühl gehabt, du möchtest den Lesern vermitteln, dass es ok ist, sich vom Papa zu trennen, nur weil er andere Erziehungskonzepte verfolgen möchte. Das sehe ich nicht so. Ein Kind braucht beide Elternteile. Früher war ich auch der Überzeugung, die Mutter geht über alles. Unsere kleine Leia hat mich da recht schnell eines besseren belehrt, sie vergöttert ihren Papa – springt, hüpft und grinst über’s ganze Gesicht, wenn er von der Arbeit kommt. Erzieht er anders als ich? Klar. Gerade das, denke ich zumindest, ist aber was Kindern gut tut – meine “Überbehütung” wird von seiner “Sorglosigkeit” aufgehoben.
Hallo Klaudia,
um deine Frage kurz zu beantworten. Unsere Aussage will und sollte nicht pauschalisiert werden. Immerhin haben wir uns hier auf ein explizites Beispiel unserer Leserin bezogen und in diesem Beispiel machte es durchaus Sinn. Es handelt sich hier nicht nur um Erziehungskonzepte, sondern vor allem davon, wie wichtig es ist, gemeinsam an einem Strang zu ziehen.
Wenn Bemühungen nichts bringen und Unterstützung an allen Fronten fehlt, dann muss eine Mutter für sich eine Entscheidung fällen dürfen. Wenn die Trennung als einzige Möglichkeit in Frage kommt, damit ein harmonisches Miteinander gegeben ist, dann ist das eine folgenschwere Entscheidung, die aber auch zum Wohle des Kindes gefällt wird.
In allen Partnerschaften und Familienkonstellationen, wo Kompromissee möglich sind und man sich gegenseitig in der Partnerschaft ergänzt, wird es mit Sicherheit auch nicht zu solchen Situationen kommen. Hoffentlich!
LG
Mir war direkt klar, wen Frau Rabe in ihrem Blogbeitrag meint….
Aha
Das ist alles sehr wahr in dem Artikel meine Angst wäre bloss eine das wenn sie irgendwann alleine in die Welt da draußen gehen und festgestellen müssen das es eine komplett andere Welt ist als diese wo sie von zuhause kennen. Deshalb sollte man ein kleines Mittelmaß finden. Da sie ja später im Leben auch nicht alles promt bekommen können wenn sie es wollen. Hab eine Bekannte die würde als Kind mega verwöhnt und hat heute riesige Probleme in der Welt alleine zurecht zu kommen. Weil es keinen mehr gibt wo ihr wirklich hilft und sie für alles allein erledigen kämpfen muss. Und das ja absolut nicht gewöhnt ist.
Hallo, mit “Baby verwöhnen” sind vor allem Babys gemeint. Auch später noch kann man meiner Meinung nach Kinder nicht “verziehen” durch Liebe und Positive Zuwendung. Das bedeutet aber nicht, dass wir sie zur Unselbständigkeit erziehen sollen, wie in deinem Beispiel geschildert. Wenn unser Sohn, mittlerweile fast 2 Jahre alt, etwas von mir möchte, das er auch selbst kann, sage ich häufig “Versuch es nochmal, das schaffst du schon selbst.” Wenn er es mehrfach versucht hat, aber nicht kann, helfe ich ihm. Wenn er nur zu bequem ist, mache ich gar nichts.
Darüber, dass wir Kinder dadurch nicht auf “das richtige Leben” vorbereiten würden, schreibe ich gerade einen sehr ausführlichen Artikel. Hast du schon einmal etwas von Resilienz gehört? Darunter versteht man die Fähigkeit von Kindern und Menschen, sich auch unter widrigen Bedingungen positiv zu entwickeln. Zur Entwicklung dieser Resilienz ist unter anderem eine stabile, positive Bezugsperson in der frühen Kindheit extrem wichtig. Das heißt im Rückschluss, dass wir unsere Kinder nicht abhärten müssen, sondern im Gegenteil sie durch behütetes aufwachsen ideal auf spätere Schwierigkeiten vorbereiten können.
Hallo,
Ein super Beitrag.Auch ich habe meinen heute 5 jährigen nach Bedarf gestillt (insgesamt 4 J),fast ausschliesslich 1,5j getragen (erst Tuch und später Trage),3j ca im Elternbett schlafen lassen (bis er selber zum Bruder gezogen ist nachts) und mein “kleiner “musste als Baby/Kleinkind nie weinen,ich wusste so was er hat durch seine Ausdrucksweise.
Das Resultat ist ein sehr weit entwickelter und überdurchschnittlich begabter Junge,der Grenzen respektiert und auch selber seine aufzeigen kann.
Brei oder püriertes Essen gab’s bei uns auch nie,seit er ca 7 Mon alt ist isst er am Familientisch mit und trinkt aus einem normalen Becher (mittlerweile natürlich Glas).
Natürlich ist er irgendwann selber gelaufen und natürlich auch irgendwann ins eigene Bett gezogen und im Gegenteil zu gleichaltrigen ist er viel selbstbewusster und mutiger.
Liebe Grüsse und weiterhin so viel Erfolg mit der Seite!
Hallo Nina,
vielen Dank für Deinen Erfahrungsbericht. Das entspricht dem Gefühl, das ich bei unserem Kind habe: Er ist so aufgeschlossen, mutig und vertrauensvoll gegenüber seinen Mitmenschen und der Umwelt. Auch wenn viele ihn anfangs als “sehr wild” empfinden, dauert es in der Regel nie lange, bis er die Herzen der anderen erobert.
Ich wünsche euch weiterhin alles Gute,
liebe Grüße,
Hanna