Ich bin ein sehr ordentlicher Mensch. Ich mag Pläne, an die ich mich halte und ich mag es, die Kontrolle über mein Leben zu haben. Zumindest war ich so. Denn dann wurde ich Mutter. Jetzt ist alles anders und ich muss meine Schwerpunkte neu setzen. Kompromisse machen. Dazu lernen. Mal locker sein und mit Humor nehmen, dass es jetzt jemanden gibt, der Ordnung relativ sieht, Pläne durchkreuzt und sich meiner Kontrolle widersetzt.
Die Stimme in mir: Ordnung, Effektivität, Pünktlichkeit
Seit ich die schlimmen Phasen der Pubertät verlassen habe, habe ich Ordnung und Sauberkeit lieben gelernt. Nicht in einem übertriebenen Maß, aber ich mag es, wenn Dinge ihren Platz haben. Für meine Wohnung hatte ich eine Faustregel: Innnerhalb von etwa einer Stunde sollte es möglich sein, alles aufzuräumen und die Wohnung in einen vorzeigbaren Zustand zu versetzen. Mindestens einmal die Woche wurde geputzt und mindestens einmal täglich die Küche sauber gemacht.
Deadlines in Schule oder Studium reizte ich nie aus. Ich bin in dem, was ich tue sehr schnell und effektiv. Auch im Berufsleben mochte ich es, effektiv und erfolgreich zu sein. Optimierte meine Vorgänge. Lernte schnell und arbeitete zielgerichtet. Alles, was mich aufhielt, verzögerte, verlangsamte, räumte ich aus dem Weg.
Wenn der Wecker morgens klingelte, pünktlich um 6:15 Uhr, dauerte es keine Minute, bis ich im Bad war, das Haus verließ ich immer pünktlich und war rechtzeitig auf Arbeit. Wenn ich mich mit Freunden traf, mussten die nie warten. Ich finde es unhöflich, andere warten zu lassen.
So war ich früher. Ich hatte mein Leben unter Kontrolle.
Ich wollte nicht auf der Couch liegen und die Dinge auf morgen verschieben. Denn dann kam diese Stimme in meinem Kopf, die mir sagte: “Es ist noch viel zu tun. Die Arbeit wird nicht weniger, wenn Du sie liegen lässt. In der Unordnung kannst Du Dich doch nicht wohlfühlen. Mach es jetzt, dann kannst Du danach entspannen.” Und ich mochte die Stimme. Und das Gefühl, den Tag erfolgreich hinter mich gebracht zu haben und dann zur Ruhe zu kommen. Ich mochte, wenn die Dinge so funktionieren, wie ich sie mir vornehme.
Erste Hemmnisse in der Schwangerschaft
Und dann war ich schwanger – und setzte der Stimme in meinem Kopf etwas entgegen. Zum ersten Mal im Leben war da jemand anders, der auf mich angewiesen war und darauf, dass ich auf mich achte. Es nicht übertreibe. Dem ich gestatteten musste, mich auszubremsen. Zu verlangsamen. Mir fiel das sehr schwer und die Hebamme musste sehr ernst auf die Stimme in mir einreden, bis ich leiser trat. Dem Baby im Bauch zuliebe.
Mit dem Teilzeit-Beschäftigungsverbot ging es körperlich besser. Für mich, für den ordnungsliebenden, effektiven und kontrollierten Teil von mir, war es wahnsinnig schwer, das zu akzeptieren. Langsamer zu machen. Kundentermine abzugeben. Erfolg zu opfern. Aber ich tat es, im festen Glauben, dass das ja nur die Phase der Schwangerschaft sei.
Danach könnte ich wieder werden wie vorher. Halt nur mit Baby. Sagte die Stimme in mir, die die Kontrolle liebt und die Ordnung mag. Dann würde ich wieder funktionieren.
Mein Leben heute: Ich bin Mama
Und das ist mein Leben heute: Nichts geht mehr schnell und effektiv. Denn dann habe ich im Handumdrehen einen quengelnden Klotz am Bein, der mich zwingt, etwas zurückzuschrauben. Ordnung halten ist Sisyphos-Arbeit. Denn während ich vorne aufräume, holt ein gewisser Jemand hinten schon wieder Dinge hervor. Kontrolle ist müßig. Ich koche das perfekte Mittagessen, doch ein gewisser Jemand spielt lieber. Planung ist schwierig. Ich plane einen tollen Ausflug, doch ein gewisser Jemand weigert sich, sich anziehen zu lassen. Oder möchte lieber den ganzen Tag zu Hause kuscheln.
Wie ich es angesichts der Stimme in mir, die nach Ordnung ruft, geschafft habe, nicht wahnsinnig zu werden? Ganz ehrlich? Oft genug war ich kurz davor. Oft genug werde ich wütend, wenn die Dinge nicht so laufen, wie ich möchte. Werde ungeduldig, wenn er mal wieder trödelt und wir nicht vorwärts kommen. Es macht mich wahnsinnig, dass er genau an dem Abend nicht vernünftig einschlafen kann, an dem ich abends noch mit meinem Mann einen Film schauen wollte. Hebe ihn einfach hoch und trage ihn nach Hause, weil er sich weigert, beim Spaziergang in die richtige Richtung zu laufen. Möchte ihm Dinge verbieten, weil sie Dreck machen und die Stimme in mir sagt, das muss jetzt wirklich nicht schon wieder sein.
Das Mama-Herz in mir
Doch dann kommt etwas ins Spiel, das ich vorher nicht hatte: Mein Mama-Herz. Und das sagt mir immer wieder, so oft ich es eben hören muss: Mit einem Kind ist alles anders. Ein Kind ist kein Haustier oder eine Angewohnheit, die man einfach ändern kann. Ein Kind ist ein eigener Mensch mit eigenen Bedürfnissen, Gedanken und vor allem einem eigenen Willen. Mit einem ganz besonderen Charakter. Und diesen Charakter, das ist meine Aufgabe als Mutter, darf ich auf seinem Weg das erste Stück begleiten. Ihn beschützen und bestärken. Ihm zeigen, dass er richtig und gut ist, genau so wie er ist. Vertrauen haben, dass er es gut macht. Das sagt mir mein Mama-Herz.
Und dieses Mama-Herz ist stärker als alles, was ich bisher kannte. Stärker, als die Ordnung. Stärker, als die Kontrolle. Dieses Mama-Herz ist nicht effektiv und kuschelt morgens eine Stunde vor dem Aufstehen. Dieses Mama-Herz lacht mit, wenn das Kind Spaß hat, auch wenn ich hinterher aufräumen muss.
Und jedes Mal, wenn die kleine Stimme in mir hoch kommt, die von Kontrolle spricht und von Effektivität, dann sagt das Mama-Herz:
“Halt die Klappe und mach mal halb lang!”
Auf das Mama-Herz hören!
Und dann gibt es da all die Meinungen und Stimmen von außen, die den Kontroll-Freak in mir füttern wollen. Die sagen: “Wenn Du Dein Kind jetzt nicht richtig erziehst, dann werdet ihr später alle Probleme haben.” Die mir suggerieren, es sei falsch, auf mein Mama-Herz zu hören. Ratgeber, die von Regeln und Grenzen und all dem sprechen. Die mir den Eindruck geben, es könne doch nicht so einfach sein mit einem Kind. Man müsse doch so Vieles beachten. Sonst hätte mein Kind später große Schwierigkeiten. Ein Heimspiel für die Stimme in mir, die Kontrolle will und Pläne und Pünktlichkeit.
Doch ich glaube daran, dass es so einfach geht. Dass ich Schritt für Schritt lernen kann, entspannt zu sein. Zu entschleunigen. Ein entspanntes, stressfreies Familienleben für uns drei aufbauen kann – ohne dass es irgendjemandem schadet. Nicht jetzt und nicht in der Zukunft. Natürlich haben wir ein paar Regeln und ein wenig Struktur. Aber eben nur so viel, wie für uns nötig ist, ohne Stress zu erzeugen. Niemals um der Struktur willen, sondern immer nur um unseretwillen.
Ich möchte mir nicht von irgendwelchen Ratgebern vorschreiben lassen, wie es richtig ist. Ich möchte nachgeben dürfen, wenn ich merke, dass es meinem Sohn wichtig ist und auch mal trotz Chaos im Wohnzimmer ins Bett gehen können. Ich möchte hinsehen dürfen und spüren, dass es richtig ist. Weil es uns gut geht. Und ich glaube fest daran, dass das, womit es uns momentan allen gut geht, nicht zu einer schlechten Zukunft führen wird. Mein Mama-Herz weiß es.