Natur erleben: 8 Tipps, wie Stadtkinder Naturerfahrung machen können

Muskulatur, Motorik, räumliches Denken, Orientierungsfähigkeit, Kreativität und Fantasie, Emotionale Bindungsfähigkeit, Empathie, Lebensfreude. Wenn es einen Förderkurs gäbe, der all diese Dinge gleichzeitig fördert, wie viele Eltern würden ihre Kinder wohl dafür anmelden?

Tatsächlich kostet dieser Wunderkurs rein gar nichts und ist hat auch keine Kapazitätsgrenze. Die Rede ist davon, die Natur mit Kindern zu entdecken. Warum dies so wichtig ist und wie ihr auch als Stadtfamilie ein wenig mehr Naturerfahrungen für eure Kinder ermöglichen könnt, bringt euch dieser Beitrag näher.

Natur erleben mit Kindern

Mein Sohn ist kein Einzelfall: Für ihn gibt es nichts besseres, als draußen zu sein. Egal, wie mies er gelaunt ist, mit einem Ausflug in den Hinterhof kann man ihn immer aufheitern. Für Kinder – aber auch für Erwachsene – sind Zeiten in der freien Natur immens wichtig. “Draußen seinist für Kinder ein Grundbedürfnis. Nirgends sonst finden sie so viele wertvolle Erlebnisse und lernen so viel wie in der Natur.

Natur ist immer wieder neu und spannend, aber gleichzeitig bietet sie einen verlässlichen und kontinuierlichen Lebensraum. Die Eiche im Hinterhof sieht im Sommer anders aus als im Winter. Die heruntergefallenen Zweige vermodern mit der Zeit. Aber die Eiche bleibt an ihrem Fleck.

Natur erleben mit Kindern
Kinder haben einen ganz anderen Blick auf die Dinge und können so viele tolle Sachen in der Natur erleben.

Was Kinder in der Natur lernen können

Wenn Kinder frei und ohne Intervention von Erwachsenen die Zusammenhänge der belebten Welt erfahren dürfen, lernen sie, Gefahren einzuschätzen, wichtige Naturgesetze und Vernetzungen zu erkennen und sich selbst in dieser Welt einzuordnen. Sie erfahren sich als zu dieser lebendigen Welt zugehörig. Sie sind einerseits frei, diese zu erkunden und zu verändern, andererseits erfahren sie ein Gefühl des Eingebunden-Seins in natürliche Prozesse. (Vgl. Gebhard, Ulrich: “Kind und Natur. Die Bedeutung der Natur für die psychische Entwicklung”. Opladen, 2001)

In dieser Umgebung dürfen sie endlich alles ausprobieren. Es kann nichts “kaputt gehen” oder schmutzig werden, im Gegensatz zum Wohnumfeld. Es gibt viel weniger Regeln und Vorgaben, viel weniger Notwendigkeit dafür. Das ist ganz wichtig. Denn Kinder brauchen keine Naturerziehung, sondern Naturerfahrung.

Und für alle, denen diese Argumente zu weit hergeholt klingen: Es gibt einen ganz einfach erklärten Vorteil von Naturerfahrung bei Kindern: Eine so abwechslungsreiche und vielfältige Umgebung wie die Natur kann kein Spielzimmer und kein noch so großes Haus bieten. Mit jeder neuen Erfahrung, die das Kind im Freien macht, werden im Gehirn neue Synapsen gebildet. Naturerleben fördert also die kognitive Entwicklung. Eines jeden Kindes.

WWF Handbuch “Natur verbindet! – Lernen in und mit der Natur”

Passend zum Thema hat der WWF ein Handbuch herausgebracht, um auf die Vorteile und Bedeutung der Natur-Kind-Beziehung einzugehen. Wer sich näher mit der Wildnis-Pädagogik auseinandersetzen oder informieren möchte, kann also gerne mal einen Blick ins Handbuch werfen oder sich von den Möglichkeiten wie man mit dem Kind im Wald spielen kann, inspirieren lassen.

*Das Handbuch wird unter der URL  https://www.wwf.de/fileadmin/fm-wwf/Publikationen-PDF/WWF-Handbuch-Natur-verbindet.pdf auch kostenlos zum Download angeboten.

Fehlende Naturerfahrung führt bei Kindern zu Defiziten

Dass fehlende Zeit in der freien Natur zu Problemen führen kann, zeigt die Wissenschaftsdisziplin der “Naturpsychologie”. Sie beantwortet die Frage, ob der Mensch Natur braucht, mit einem recht eindeutigen Ja.

In den letzten 20 Jahren ist in unserer Kultur eine sog. Naturentfremdung zu beobachten. Diese zeigt sich zum Beispiel in Farbunsicherheiten bei Tierbeschreibungen (“Ist die Ente gelb?”) und letztlich in pychischen Erkrankungen wie ADHS, so Biologe Andreas Weber. Obwohl aus psychologischer Sicht ganz andere Therapien nötig wären, werden diese seelischen Defizite dann mit Medikamenten behandelt – statt mit mehr Selbstbestimmung und Naturerfahrung.

Was tun, wenn das Kind in der Stadt kaum Natur hat?

Werden unsere Kinder also emotional verkümmern, wenn wir in der Großstadt wohnen? Machen wir Stadtbewohner alles falsch? Ein schlechtes Gewissen oder Selbstvorwürfe sind hier völlig fehl am Platz. Sicherlich hat jeder einen guten Grund, dort zu leben, wo er lebt. Nicht jeder möchte oder kann den “Traum vom Haus im Grünen” leben. Vielmehr sollten wir uns fragen, was wir tun können, um trotz Großstadt möglichst viel Freiraum und Naturerfahrung zu bieten. Wie kann es gelingen, dass ein Kind in der Stadt den Bezug zur Natur nicht verliert?

8 Möglichkeiten wie jedes Stadtkind die Natur mit allen Sinnen erleben kann

Stadtkind will Natur erleben

  • Parks nutzen:
    Auch in Städten gibt es Naturflächen in Form von Parks, meist auch mit naturbelassenen Ecken. Bei uns um die Ecke gibt es zum Beispiel den Volkspark Rehberge. Das sind ca. 70 ha Wald, Wiese und Natur. Die Wiesen sind phasenweise ungemäht und es tummeln sich allerlei Kleintiere. Letzten Sommer waren wir dort fast täglich mit unserem Kleinkind.

Vorteil vom Park: Er kann ungehindert laufen, erkunden und untersuchen.

  • Draußen sein:
    Auch wenn die Wege in der Stadt auf den ersten Blick zugepflastert wirken: Auch hier gibt es genug zu entdecken. Wenn ihr euch einmal die Zeit nehmt, euer Kind den Weg und die Geschwindigkeit bestimmen zu lassen, werdet ihr vielleicht unerwartete Ecken entdecken. Überall gibt es kleinere Brachflächen, Hinterhöfe, Vorgärten, Spielplätze oder Friedhöfe. Selbst zwischen den Pflastersteinen auf dem Gehweg leben Ameisen und bahnen sich Grashalme ihren Weg. Die Bäume an der Straße verlieren Blätter, Blüten oder Früchte und Regen, Wind und Sonne erreichen auch die belebteste Straße.

Warum also nicht einfach mal nur Spazieren gehen statt auf den Spielplatz?

  • Kinder Dreckig werden lassen:
    Ganz ehrlich, ich kleide meinen Sohn jeden Morgen neu und wasche die Kleidung vom Vortag. Denn so richtig sauber bleibt er nie. Es ist also eigentlich kein Problem, wenn sie vorher nochmal so richtig dreckig wird. Dehalb lasse ich ihn draußen spielen. Und zwar wirklich spielen, so wie er es für richtig hält. Mit Staub und Dreck und Matsch und auf den Boden legen, um die Dinge ganz nah sehen zu können.

  • Jedes Wetter nutzen:
    Ihr könnt nicht raus wegen Schmuddelwetter? Quatsch, nutzt genau dieses schlechte Wetter mit euren Kindern! Denn auch wenn der Ort physikalisch derselbe bleibt, so ist er doch ein ganz anderer, wenn man ihn im Regen, im Sonnenschein oder bei Sturmwetter erlebt. Ich selbst liebte es als Kind, bei Wind und Regen nach draußen zu laufen und zu spielen. Für mich gab es dann kein halten mehr. Im Sommer lief ich im Badeanzug in den Regen und stellte mich unter die Regenrinne, wenn es stürmte und regnete.
  • Sehen, wie natürlich(e) Sachen wachsen:
    In Berlin gibt es viele Schrebergärten. Im Herbst haben die meisten Gärtner oder Gartenbesitzer viel zu viele Äpfel, um sie alle zu pflücken und zu verwerten. Auch am Stadtrand gibt es viele Menschen mit eigenem Garten und zu viel Obst. Warum also nicht mit dem Kind die Gelegenheit nutzen, und selbst Obst pflücken gehen? In Zeiten der digitalen Vernetzung findet man sich zu solchen Anlässen schnell Kontakt über die sozialen Medien oder die Online Kleinanzeigen. Probiert es aus! Wir haben es auch getan und es lohnt sich für alle! Auch in den Parks und am Straßenrand gibt es häufig Möglichkeiten, selbst zu ernten. Ein Haselnussstrauch oder Walnussbaum bietet eine solche Gelegenheit. Aber auch Bucheckern kann man sammeln, öffnen und geröstet im Salat essen.

So erleben Kinder hautnah, dass Lebensmittel aus der Natur kommen. Und nicht aus dem Supermarkt.

  • Natur ins Haus holen:
    Selbst zu Zeiten, in denen wir nicht nach draußen gehen möchten oder können, weil wir andere Verpflichtungen haben, können wir uns ein wenig Natur ins Haus holen. Statt Plastik-Spielzeug können wir auf Holzspielzeug zurückgreifen. Oder muss es vielleicht gar kein Spielzeug im herkömmlichen Sinne sein? Auch mit Naturmaterialien wie Kastanien, Holzstöcken oder Federn können Kinder ganz prima spielen.
  • Kinderbauernhöfe besuchen:
    In vielen Bezirken in Berlin gibt es kleine Bauernhöfe für Kinder.
    Hier können Kinder live erleben, wie Schafe klingen, was Pferde fressen oder wie sich ein Kaninchen anfühlt. Die Areale sind meist so gestaltet, dass die Kinder relativ sicher und selbständig den Bauernhof erkunden können.

  • Urlaub: In den Ferien muss es vielleicht nicht das All-Inklusiv-Hotel mit Kinderanimation mitten in eurer Lieblingsstadt in Italien sein. Probiert es einfach mit Ferienhäuser am Strand, Urlaub auf dem Bauernhof oder vielleicht haben auch die Großeltern oder Bekannte ein Haus auf dem Land?

Ihr seht also – in einer Stadtwohnung zu wohnen bedeutet nicht, dass ein Kind keine Natur erfahren kann. Mit ein wenig Zeit und Geduld klappt das auch für uns Großstadtmenschen.

 

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