Nach meinem letzten Text hat eine Bekannte von damals mir geschrieben, dass sie froh ist, dass sie nicht die einzige ist, die nicht genau der gesellschaftlichen Norm entsprechend leben möchte. Dass der gesellschaftliche Druck sie manchmal zweifeln lässt, weil niemand in ihrem Umfeld so ist wie sie.
Die Gesellschaft. Die anderen. Die Erwartungen anderer. Irgendwie Fluch und Segen, habe ich das Gefühl. Denn diese „Gesellschaft“ übt oft viel Druck aus, reguliert, wie wir uns verhalten und was uns wichtig ist. Das hört sich sehr negativ an. Ist es auch. Und gleichzeitig ist es das auch nicht. Denn sicherlich nicht ohne Grund ist das Bedürfnis, zu einer Gemeinschaft zu gehören und deren Regeln zu verinnerlichen ein angeborenes. Wir fühlen uns wohl, wenn wir in der Gesellschaft akzeptiert sind und soziale Beziehungen haben. Also positive soziale Beziehungen.
Die Gesellschaft und ich
Mein Umgang mit der „Gesellschaft“ war schon immer speziell. Denn wir wohnen nicht im dicht bebauten Siedlungsgebiet, sondern auf dem Land. Wir haben zwei Nachbarn, aber die sehen wir nur von weitem. Um uns herum ist vor allem Feld, Wald und Wiese. Meine ganze Kindheit hat es die Gesellschaft also erstmal wenig gekümmert, ob ich beim Gewitter im Badeanzug unter der Regenrinne stand oder mich in einen Ameisenhaufen gestellt und dabei laut geschrien habe. Und selbst, wenn es die anderen gekümmert hätte, hätte ich davon herzlich wenig mitbekommen.
Erst in meiner Jungend viel mir zu meiner Verwunderung auf, dass mir wildfremde Menschen aus unserem oder dem Nachbarort genau wussten, wer ich bin. Wer meine Eltern sind. Dass mein Papa 1982 den Nachnamen meiner Mama angenommen hat. Wer meine Brüder sind. Welchen Abiturschnitt ich hatte. Weil es in der Zeitung stand. Die Gesellschaft kümmerte es also doch. Irgendwie.
Mich kümmerte es in der Jugend und im jungen Erwachsenenalter dann auch. Wie vermutlich die allermeisten, versuchte ich, ein „normales“ Leben zu führen. Dieselben Sachen gut zu finden, wie die meisten. Angemessene Kleidung. Eine schicke Wohnung. Ein gut bezahlter Job, ordentliches Auto. Abends mit Freunden was Essen gehen oder die Nacht durchfeiern. Die Nachbarn kennen und Smalltalk halten. Nicht zu sehr aus der Reihe tanzen.
Das ging ganz gut, aber so ein richtiges Match wurden die Gesellschaft und ich ehrlich gesagt nie. Das Gefühl war eher immer eins von Hinterherrennen und Verstellen.
Dann wurde ich Mutter.
Spätestens mit Kind kann man der Gesellschaft nicht mehr aus dem Weg gehen. Denn da kümmert es die anderen Menschen plötzlich enorm, was Du machst. Beinahe jedes Kind ist irgendwem in der Öffentlichkeit zu laut, zu störrisch, zu schüchtern oder sagt nicht brav genug „Guten Tag“ zu jedem. Das kümmert die Gesellschaft also plötzlich und die Menschen werden nicht müde, das durch Augenrollen, Kommentare, „gut gemeinte“ Ratschläge, lautstarke Gespräche untereinander oder sonst wie mitzuteilen. Auch, ob und wann wir unsere Kinder in die Fremdbetreuung geben, ob die Frau wieder arbeiten geht oder nicht, welche Rollenverteilung wir leben und ob das Kind im Ehebett schlafen darf, kümmert die anderen.
Und wir Mamas? Stehen gefühlt zwischen tausend Stühlen und versuchen, uns irgendwie einzugliedern. In die Gesellschaft. In die Arbeitswelt. Und gleichzeitig unseren eigenen Ansprüchen an das Leben, den Bedürfnissen der Kinder und auch der Partnerschaft gerecht zu werden.
Auch das habe ich versucht, etwa 1 Jahr lang.
Und dann hatte ich genug. So sollte mein Leben nicht sein, nicht auf Dauer. Ich kündigte also der Gesellschaft die Zusammenarbeit auf und wir lösten unser beschauliches, „normales“ Leben auf. Stück für Stück. Kündigten Wohnung und Jobs, wurden „Digitale Nomaden“. Die meisten Menschen, denen ich heute erkläre, womit ich mein Geld verdiene, verstehen nur Bahnhof. Zu ungewöhnlich ist unser Weg. Unser Leben. Immer noch, obwohl wir längst wieder einen festen Wohnsitz haben.
Trotzdem weigere ich mich nach wie vor, mitzumachen. Ich verschwende keine Zeit oder Energie mehr darauf, irgendetwas für die Gesellschaft zu tun. Es gibt jetzt klare Prioritäten für mich. Und die Meinung der Gesellschaft steht da an allerletzter Stelle. Ganz vorne kommen die Kinder. Dann ich. Ganz viel ich.
Denn ja, das dürfen wir Frauen! Mütter! Dazu muss ich keine Feministin sein oder meine Beziehung vor die Wand fahren. Ich darf mein Leben mehr und mehr so gestalten, wie es mir gut tut. Dass ich Freude habe an dem, was ich tue. Ich muss mein Auto nicht waschen und meinen Vorgarten (den es gar nicht gibt) in Ordnung bringen, damit die Leute nicht reden. Ich muss mich nicht jedes Mal entschuldigen, dass bei uns gerade nicht aufgeräumt ist, wenn Besuch kommt und ich muss keine Leute einladen, mit denen ich mich nicht zu 100% wohl fühle. Ich muss auch nicht arbeiten in einem Job, der mich nicht ausfüllt, um dann einen Urlaub zu buchen oder noch ein Auto zu kaufen. Ich mach es einfach nicht.
Das bedeutet nicht, dass jeder, der das doch tut, etwas falsch macht. Es spricht absolut nichts gegen Urlaube oder arbeitende Mütter – solange es das ist, was einen erfüllt! Aber ich habe für mich entschieden, dass diese Dinge mich nicht glücklich machen. Was mich aber glücklich macht, ist Zeit mit meinen Kindern, Zeit für mich, Zeit mit meinem Mann, um 8 Uhr ins Bett gehen, gutes Essen kochen, im Garten arbeiten oder eben schreiben.
Was, wenn die Leute reden?
Wenn die Leute schlecht über mich denken? Sich wundern, was ich treibe, da draußen am Rand des Ortes? Ganz ehrlich, ich habe keine Angst, dass das passiert. Denn ich bin mir ganz sicher, dass das passiert. Seit langer Zeit schon. Ich kann mir oft vorstellen, wie sich Menschen wundern, wenn sie das erste Mal zu Besuch kommen. Manche kommen gerne wieder. Einige auch nicht.
Und das ist absolut okay! Je älter ich werde, desto mehr begreife ich: Ich möchte mein Leben nicht nach den Standards anderer leben, nicht eine Stunde davon! Natürlich sind meine Ansichten und Werte beeinflusst von der Gesellschaft, in der wir leben. Das ist normal und nicht unbedingt etwas Schlimmes. Aber was ich daraus mache, wie ich mich innerhalb dieser Gesellschaft bewege, ist einzig und allein meine Entscheidung (naja, und vielleicht ein bisschen die meines Mannes).
Ich habe nie Probleme mit Menschen, die das nicht richtig finden – denn das sind auch die Menschen, die nicht wiederkommen. Die nicht in meinem Leben bleiben.
Soziale Einbindung
Aber was ist nun mit dem oben beschriebenen Bedürfnis, sozial akzeptiert und eingebunden zu sein? Ja, trotz unserer ungewöhnlichen Lebensweise haben wir Freunde und ein soziales Umfeld. Ein sehr aktives sogar, denn bei uns ist eigentlich jeden Tag mindestens einmal jemand im Haus, der nicht wir, die Kinder, oder die Großeltern sind. Unsere Wohnbereich ist ein bisschen wie ein offener Treffpunkt, wo verschiedene Menschen regelmäßig für einen Kaffee, zum Abendessen oder mit ihren Kindern zum Spielen kommen.
Vor allem im Sommer, wenn viele zum Schwimmen an den See kommen oder eine Runde mit dem Fahrrad drehen, ist hier ein Kommen und Gehen. Und das mögen wir so. Denn einige davon sind schon mehr Familienmitglied als Gast und wir müssen nicht jedem zu Trinken anbieten oder einen Sitzplatz. Jeder fühlt sich wie zuhause, wer bei uns isst, bringt auch mal was mit, bestellt Pizza für alle oder kocht für uns. Es ist ein ganz selbstverständliches Geben und Nehmen.
Wie wertvoll diese Beziehungen sind, haben wir im Januar gemerkt, als ich zum ersten Mal seit langem richtig, richtig krank war. Eine eitrige Mandelentzündung, ich lag über eine Woche nur im Bett und konnte mich um nichts kümmern. Naja, um fast nichts. Was ich tatsächlich fertig gebracht habe, war, per Messenger um Hilfe zu bitten. Und so haben nicht nur mein Papa und meine Mama ausgeholfen, so viel sie terminlich konnten, sondern auch Freunde haben unsere Kinder nach Hause gebracht, zu Terminen gefahren oder einfach zuhause betreut, während ich halbtot dalag.
Schreib mir gerne einen Kommentar mit Deinen Gedanken dazu!