Wie alle Eltern wollen wir für unser Kind nur das Beste. Wollen es auf die Zukunft vorbereiten. Nur wie genau das am besten geht, dieses Vorbereiten auf die Zukunft, darüber herrscht nicht immer Einigkeit.
Erst kürzlich las ich wieder einen Artikel, in dem Eltern wie uns vorgeworfen wurde, wir würden unsere Kinder von der “echten” Welt fernhalten, indem wir ihn behütet und bedürfnisorientiert aufwachsen lassen. Indem wir ihm Erfolgserlebnisse verschaffen und möglichst ideale Bedingungen zum Aufwachsen bieten. Denn die Welt da draußen sieht häufig anders aus. Eines Tages wird er möglicherweise konfrontiert sein mit Konflikten, Gewalt, Missgunst und Verlust. Immer wieder höre oder lese ich, dass wir unsere Kinder deshalb abhärten müssten.
Kurz gesagt: Eltern wie wir würden Kinder verzärteln und nicht aufs echte Leben vorbereiten. – Bullshit.
Hier kommt die wissenschaftliche Erklärung, warum eine geborgene Kindheit so wichtig ist!
Resilienzforschung: Warum die Kindheit das Leben mitbestimmt
Was bedeutet Resilienz?
Manchen wird der Begriff Resilienz vielleicht etwas sagen, andere hören ihn zum ersten Mal. Das Prinzip dahinter ist aber genau das, was wir ohnehin in der Erziehung unserer Kinder tun. Nur bekommt es mit der Resilienzforschung eine wissenschaftliche Grundlage.
Habt ihr schon einmal darüber nachgedacht, warum es Menschen gibt, die aus den unmöglichsten Bedingungen kommen und trotzdem ein glückliches Leben führen? Warum manche Kinder an Gewalt oder Missbrauch in der Kindheit kaputt gehen und andere zu liebevollen, psychisch gesunden Erwachsenen werden? Warum der eine Jahrzehnte später noch unter dem lieblosen Erziehungsstil seiner Eltern leidet und der andere ohne Probleme ein liebender Elternteil sein kann?
Die Antwort auf diese Fragen lautet: Resilienz bei Kindern.
Was ist Resilienz?
Definition
Resilienz wird häufig definiert als “die psychische Widerstandsfähigkeit gegenüber psychologischen, biologischen und psychosozialen Entwicklungsrisiken” (Wustmann, 2004), als die “Widerstandsfähigkeit der Seele”, als “Immunsystem der Psyche”.
Der Begriff kommt vom englischen resilience (Spannkraft, Elastizität). Er besagt genau das oben Beschriebene: Manche Kinder verfügen über ein hohes Maß an Resilienz und entwickeln sich auch unter sehr ungünstigen Bedingungen gut, während andere daran zerbrechen oder ernsthafte Problematiken entwickeln.
Resilienz zeigt sich immer dann, wenn eine für die psychische Entwicklung eines Kindes gefährliche Situation auftritt, die das Kind erfolgreich übersteht, ohne seelischen Schaden zu nehmen. Dazu gehört zum Beispiel das Aufwachsen unter widrigen Bedingungen oder Armut, der Verlust einer Bezugsperson oder des gewohnten Lebensumfeldes, Mobbing, elterliche Trennung oder ungünstige Erziehungsmethoden.
Für die Entstehung dieser Fähigkeit sind verschiedene Faktoren zuständig, die wir als Eltern positiv beeinflussen können.
Wenn wir unsere Kinder auf das Leben vorbereiten wollen, müssen wir also ihre Resilienz fördern, nicht sie künstlich abhärten und der echten Welt da draußen zum Fraß vorwerfen. Anstatt sie früh durch traumatische Erfahrungen zu “brechen”, können wir ihre Psyche für künftige Schicksalsschläge stärken.
Wann entsteht Resilienz?
Resilienz ist nicht angeboren, sondern wird erworben und entwickelt sich in der Interaktion zwischen Kind und Lebensumfeld. Die psychische Widerstandsfähigkeit ist nicht immer gleich im Laufe des Lebens, sondern unterliegt Schwankungen, ist ein dynamischer Anpassungsprozess. Die Grundlage liegt im Menschen selbst und in seinem Umfeld.
Der Grundstein für resiliente Menschen und deren Charakter wird in frühester Kindheit (ab ca. 2 Monaten) gelegt: Es gibt Eigenschaften, die in der (frühen) Kindheit erlernt werden und die uns ein ganzes Leben weiterhelfen – vorausgesetzt, wir bekommen die Gelegenheit, diese Fähigkeiten auszubilden. Dazu gehören z.B. Beziehungsfähigkeit, Eigenantrieb, Unabhängigkeit, Verantwortungsbewusstsein und Selbständigkeit, Kreativität und Fantasie, sowie Hoffnung und Glaube. Auch Kraft, Mut und Entschlossenheit zählen zu diesen hilfreichen Eigenschaften und Verhaltensmustern.
Resilienzfaktoren
Fröhlich-Gildhoff (2007) nennt diese Eigenschaften Resilienzfaktoren und listet sechs übergeordnete Eigenschaften auf:
- eine positive Selbstwahrnehmung
- eine angemessene Selbststeuerungsfähigkeit
- Selbstwirksamkeitsüberzeugung
- Soziale Kompetenzen
- Angemessener Umgang mit Stress
- Problemlösekompetenz
Ja, Kleinkinder und Kinder mit diesen Eigenschaften sind mit großer Wahrscheinlichkeit etwas anstrengender und weniger gesellschaftlich angepasst. Es braucht mehr Verständnis, Geduld und Kommunikation von Seiten der Eltern und des restlichen Umfelds. Ein Kind, das nur “gehorcht”, das nur das tut, was es soll, wird viele dieser Charakterstärken weniger gut können – auch wenn viele es nichtsdestotrotz tun. Nur, wer selbst ausprobieren darf, wird lernen, mit Misserfolgen umzugehen und aus Erfolgserlebnissen das entsprechende Selbstbewusstsein zu ziehen.
Denn verstehen wir uns nicht falsch – unsere Aufgabe ist es nicht, unsere Kinder vor Misserfolgen zu schützen. Das ist es nicht, was man unter bedürfnisorientiert oder geborgenem Aufwachsen versteht. Unsere Aufgabe ist es, negative Einflüsse, Gewalt, Missbrauch und dauerhafte Konflikte von ihnen fernzuhalten. Unsere Aufgabe ist es, ihnen zu ermöglichen, sich in ihrem eigenen Tempo und in einem geschützten Raum sicher zu entwickeln. Mit allem, was dazu gehört, auch Frustration und Misserfolg.
Resilienzförderung bei Kindern
Der wichtigste Punkt für die Entwicklung von Resilienz bei Kindern ist ein beschützendes Lebensumfeld in den ersten Lebensjahren. Dazu gehört allem voran eine stabile, positive Beziehung zum einer oder mehreren Bezugspersonen. Nur diese gibt einem Kind die Sicherheit, alle anderen Fähigkeiten adäquat zu entwickeln. Der Erziehungsstil, den ein Kind erfährt, sollte von Wertschätzung, Verständnis und Akzeptanz geprägt sein.
Ein positives Lebensumfeld und stabile Bezugspersonen müssen nicht immer im häuslichen Umfeld sein. Für Kleinkinder in Kita oder Kindergarten sind ältere Bezugspersonen wichtig, also die Erzieher oder ältere Kinder. Dieser Kontakt ist eine wichtige Bestätigung für ein Kind, wichtig und liebenswert zu sein. Wenn es dem Kind gelingt, sich diese erfolgreiche Rückmeldung als eigenen Erfolg zuzuschreiben, wenn es also selbst tätig geworden ist und damit Erfolg hatte, ist das eine Erfahrung, von der es ein Leben lang profitiert.
Für Kinder in der richtigen Entwicklungsstufe kann die Fremdbetreuung ein Ort sein, an dem es sich erfolgreich behauptet, seine Rechte einfordert und aktiv und mit Absicht Kontakte knüpft. Vor allem für sozial benachteiligte Kinder ist diese Erfahrung enorm wichtig für die gesunde psychische Entwicklung.
Auch in anderen Situationen können wir unseren Kindern den nötigen Freiraum für diese Entwicklung lassen. Dafür sind soziale Interaktionen mit anderen Menschen als Mama und Papa wichtig. Stabile soziale Beziehungen, auch zu anderen Kindern oder Tieren. Denn auch Haustiere können positiven Einfluss nehmen. Sie geben einem Kind das Gefühl, gebraucht zu werden und sind immer da.
Können Kinder Resilienz erlernen?
Die Gehirnforschung zeigt, dass die Vernetzung der beiden Gehirnhälften einen großen Einfluss auf die Resilienz bei Kindern hat. Diese Entwicklung kann man gezielt fördern und stärken durch Übungen, die beide Gehirnhälften in Anspruch nehmen: Spiele und Übungen, bei denen sich der Bewegungsfluss in der Körpermitte kreuzt zum Beispiel.
Auch Naturerfahrung ist ein wichtiger Punkt der Resilienzförderung, der dem Kind Erfahrung von Selbstwirksamkeit und viel Freiraum lässt. Hier lernen Kinder, welche Faktoren sie beeinflussen können und was sich ihrer Kontrolle entzieht – ein gesundes Verständnis von Möglichkeiten, Erfolg und vorprogrammiertem Misserfolg durch natürliche Grenzen.
Warum ist Resilienz bei Kindern wichtig?
Wenn ihr euch also jemals der Kritik an eurem liebevollen und verständnisvollen Erziehungsstil ausgesetzt seht, erinnert euch, warum ihr das tut: Die Fähigkeiten, die eure Kinder in ihrer frühen Kindheit erlernen können, die Resilienzfähigkeit, wird ihnen im späteren Lebehn helfen, Krisen zu überstehen. Sie werden umso besser mit genau der Welt zurecht kommen, auf die wir sie vorbereiten wollen. Das funktioniert nicht, indem wir sie abhärten und frühzeitig all den ungünstigen Einflüssen aussetzen, sondern indem wir unseren Erziehungsstil so gestalten, dass unsere Kinder möglichst viel beschützten Freiraum für ihre Entwicklung haben. Indem wir sie nicht überbehüten, aber ihnen ein liebevolles und stabiles Umfeld bieten. Indem wir ihnen das Gefühl geben, richtig zu sein und Einfluss ausüben zu können.
Klaus Fröhlich-Gildhoff und Maike Rönnau-Böse (“Resilienz”, München 2011) bezeichnen den autoritativen bzw. demokratischen Erziehungsstil als den, der die Resilienz bei Kindern am besten fördert. Weiterhin nennen sie Zusammenhalt, Stabilität und konstruktive Kommunikation in der Familie (vgl. S. 29) als wichtige soziale Ressource. Das heißt konkret: Dass wir unsere Kinder bindungsorientiert und liebevoll erziehen, stärkt ihre Entwicklung und die Resilienz gegenüber möglichen widrigen Bedingungen in der Zukunft.
Was bedeutet das für mich?
Dabei gilt kein Alles-oder-nichts-Prinzip, sondern Je-mehr-desto-besser. Das heißt, auch “ein bisschen” liebevolles Aufwachsen kann einem Kind langfristig weiterhelfen. Eine liebevolle und konstante Bezugsperson ist besser als keine, auch wenn mehrere natürlich noch mehr fördern können. Es gibt hier kein Patentrezept, das zu einem resilienten Kind führt. Für das eine Kind ist vielleicht eine einzige positive Bezugsperson genug, um alle anderen Widrigkeiten des Lebens wegzustecken. Ein anderes Kind wächst in absolut guten Verhältnissen auf, zerbricht aber an einem gewalttätigen Elternteil. Was genau aus unserem Kind wird, können wir nicht bestimmen. Aber wir können unser Bestes geben, zu einem positiven, starken Charakter beizutragen.
Das ist das Fazit, das ich daraus gezogen habe: Kinder sind zäher, als wir manchmal denken, sie brauchen nicht das perfekte Umfeld zum Aufwachsen. Wir müssen uns nicht an jeder Ecke sorgen, dass sie ein Trauma davontragen, weil wir sie in der Kita lassen oder später nicht glücklich sind, weil wir uns nicht jeden Tag Zeit nehmen, mit ihnen ein Buch zu lesen. Jedes Kind verfügt über ein gewisses Maß an Resilienz und kann dadurch viele negative Ereignisse kompensieren und verkraften. Wo die Toleranzschwelle liegt und dass diese nicht überschritten wird, liegt in unserer Hand als Eltern. Sicherlich gibt es Dinge, die unseren Kindern gut tun und andere, die ihnen weniger gut tun. Aber es reicht, wenn wir viele Dinge gut machen. Es muss nicht alles perfekt sein. Aber mit Absicht “abhärten” bringt ihnen reichlich wenig.
Auf Pinterest merken:
“Spiele und Übungen, bei denen sich der Bewegungsfluss in der Körpermitte kreuzt ”
Hört sich gut an, aber nenne bzw. erläutere bitte diese Spiele.
Hallo,
zum Beispiel mit der rechten Hand auf den linken Oberschenkel klatschen und entsprechend anders herum wäre so eine Übung. Laufen mit sich kreuzenden Füßen. Solche Bewegungsarten gibt es viele, schau doch z.B. hier: https://hoppsala.de/index.php?menueID=267&contentID=1564
Viele Grüße,
Hanna
Schönen guten Tag, ich möchte meine Bachelorarbeit zum Thema Resilienzförderung bei Kindern schreiben. Ihr Artikel dazu gefällt mir sehr gut. Könnten Sie mir vielleicht Ihre Quellen nennen? Das wäre wirklich klasse, vielen Dank! Mit freundlichen Grüßen Angelina
Guten Morgen,
ein wirklich toller Artikel, vielen Dank dafür! Bestätigt, dass ich meine Arbeit im Kindergarten richtig mache 🙂
Freu mich sehr die Seite gefunden zu haben!
Liebe Grüße
Susanne
Danke, liebe Susanne, für diese tolle Rückmeldung!
Dorena meint, aus der Erfahrung von mittlerweile 59″Erdenjahren” und dem lesen ähnlicher Texte zu diesem Thema weiss ich,was Resilienz ist und wie wichtig sie ist. gut,dass das hier mal so genau erklärt wurde.danke.
Freundliche Grüße
Dorena
Bitte im Titelbild Widerstand statt Wiederstand schreiben, sonst erwarten die Leser keinen gut recherchierten Artikel.
Liebe Grüße Alex
Hallo Alex,
vielen Dank für den Hinweis. Sogar mir kleinem Rechtschreib-Nazi passiert sowas. Ausgerechnet mir 😉
Hab das Pinterest-Bild geändert.
Liebe Grüße,
Hanna
Das Thema ist serh interessant. Arbeite selbst in einer Kita und beschäftige mich derzeit mit Ruhe, Entspannung und Aktion. Dazu gehört natürlich auch das Thema Resilienz. Dürfe ich wissen woher die Quellen sind? Schreibe nämlich über dies eine Facharbeit und dein Beitrag liest sich atemberaubend! LG und weiter so
Hallo,
der Beitrag gefällt mir. Leider fehlen die Quellenangaben. Sie sind zwar im Text angegeben, aber das Literaturverzeichnis fehlt. Schade. Wie komme ich nun an die Literatur?
Freundliche Grüße,
Laura
Huhu
Der Begriff Resilienz stammt nicht aus dem englischen, sondern leitet sich ab vom Wort “resilere” (Latein: abprallen). Bedeutet natürlich dasselbe.
Mutter der Resilienzforschung war eine Psychologin namens Emmy Werner
Guten Morgen, Sie haben sehr gut erklärt und das Thema sehr interessant. Mein Facharbeit zum Thema: Rezilienzförderung bei kindern. Ich freue mich auf Ihre Quellen. Das wäre sehr schön. Vielen dank.
Mit freundlichen Grüßen
Hicran