Von Realität und dem kleinsten gemeinsamen Nenner

Träume und Realität

Lebenträume. Wünsche. Vorstellungen. Selbstverwirklichung. Wie und wo wir uns in Zukunft sehen, ist ein ganz essentieller Bestandteil unseres Charakters. Ich habe großes Glück und mein Mann träumt (mittlerweile) denselben Traum, verfolgt dieselben Ziele wie ich. Aber was, wenn das nicht so ist? Wenn man einen ganz starken Traum hat, den der Partner nicht mittragen möchte? Gibt es Möglichkeiten, ihn zu “überreden”? Wie habe ich es geschafft, meinen Mann zu “überzeugen”?

Die Geschichte meines Traums

Der Mann und ich kannten uns noch nicht lange, da ging mir der Gedanke das erste Mal durch den Kopf: Wäre es nicht schön, mit diesem Mann, dem Mann, den ich liebe, irgendwo noch einmal neu anzufangen? Gemeinsam ein fremdes Land, eine andere Kultur zu erkunden. Noch mehr zusammenwachsen und gemeinsam Abenteuer erleben. Ich sprach mit ihm und meine Träumerei wurde schnell mit einem “Vielleicht irgendwann einmal” abgetan. Doch tief in mir blieb er, der Traum. Und wuchs. Regensburg, wo wir lebten, wurde mir irgendwann zu eng. Ich hatte das Gefühl, dort gefangen zu sein. Weg zu müssen.

2014, da waren wir fünf Jahre zusammen, zogen wir gemeinsam nach Berlin. Weil der Mann dort einen Job gefunden hatte. Für mich war das eine große Erleichterung. Kein fremdes Land, aber für mich immerhin eine neue Stadt. Neue Umgebung. Unheimlich viel Neues zu entdecken. Vielleicht, so dachte ich insgeheim, müsste dieser Neustart ausreichen. Vielleicht war es einfach zu weit geträumt, das Leben im Ausland. Denn, wohin sollten wir gehen? Wovon leben? In Deutschland hatten wir beide einen festen Job, der Mann begann gerade, die Karriereleiter zu erklimmen. Oder zumindest mal vor der Leiter zu stehen, zu diesem Zeitpunkt.

Ein halbes Jahr später war ich schwanger. Ein weiterer Neustart stand uns bevor. Viel Veränderung. Und der Traum schien begraben zu sein. Ich fand mich innerlich damit ab. Denn mit einem Kind wäre das Leben im Ausland doch noch schwieriger zu realisieren. Einige Wochen nach dem positiven Test brachte der Mann eine Idee mit nach Hause. Er hatte zwei Domains gekauft und WordPress eingerichtet. Er-ist-schwanger.de und Sie-ist-schwanger.de. Zweiteres war offenbar für mich. Als er mir erklärte, dass wir nun anfangen würden, zu bloggen, wusste ich nicht einmal, was das war. Hatte in meinem Leben noch kein Blog gelesen. Aber ich loggte mich ein und schrieb drauf los. Es machte mir wahnsinnigen Spaß.

Etwa ein Jahr später, als der Alltag mit Baby etwas weniger anstrengend wurde, keimte in mir wieder diese Unzufriedenheit auf. Der Mann ging jeden Tag zur Arbeit, ich war mit Kind zu Hause. Dabei wollte ich doch eine Familie. Jeden Tag. Den ganzen Tag. Ich wollte meinen Mann bei uns haben, ich wollte, dass er seinen Sohn ebenso gut kennen lernen kann, wie ich. Und das am liebsten – na klar – irgendwo anders. Im Ausland.

Gemeinsam träumen

Und er? Ich glaube nicht, dass er jemals davon geträumt hatte, sein eben erst geregeltes Leben aufzugeben und mit uns im Ausland zu leben. Mein Mann ist eher so der Sicherheits-Typ. Jemand, der mit der Wohnung und dem Job und der Routine zufrieden wäre. Der die Feierabende und Wochenenden mit seiner Familie verbringen möchte und dafür bereit ist, tagsüber zu arbeiten. Er mochte all die Dinge, die wir in der Wohnung haben. Die große Auswahl an Kleidung, all die Elektro-Geräte, Möbel und Einrichtungsgegenstände, die wir uns in den letzten Jahren gekauft hatten.

Wie also könnte das zusammen gehen? Wie könnte ich ihn überzeugen dass wir all das gar nicht brauchen, dass das wirklich wertvolle gemeinsame Zeit ist? Ich kannte ihn gut genug, um zu wissen, dass das nicht von heute auf morgen passieren würde. Als erstes musste ich ihn überhaupt einmal mit dem Gedanken vertraut machen. Ich sprach also mit ihm. Wieder und wieder. Nicht drängend oder nörgelnd, aber doch so, dass er merkte, dass es mir wirklich wichtig war. Immer in der Ich-Form. Als “Ich wünsche mir…” “Ich habe das Gefühl…”. Nie als Kritik an ihm oder dem, was er wollte. (Außer das, was er wollte, war richtig bescheuert wie die Kiste mit leeren, nicht auffüllbaren Feuerzeugen aus Jugendzeiten aus nostalgischen Gründen behalten.)

Ich denke, irgendwann hat er verstanden, dass es für mich wirklich wichtig ist. Dass dieser Lebenstraum nicht einfach aufhören würde. Und langsam schien er auch zuzustimmen. Denn natürlich ist auch für ihn gemeinsame Zeit mit uns wertvoll und erstrebenswert. Dass er dazu vieles an materiellem Luxus aufgeben müsse, verdrängte er vermutlich erst einmal. Denn das Trennen von Materiellem fiel ihm bis dahin immer wahnsinnig schwer. So vieles hat einen “sentimentalen Wert” oder man “könnte es irgendwann nochmal brauchen”. Ich kannte diese Diskussionen von diversen Umzügen.

Vom Traum zur Realität

Nach vielen Gesprächen und viel Nachdenken wurde aus meinem Lebenstraum allmählich ein gemeinsamer. Ich denke, dass er ihn auch angenommen hat, weil er am glücklichsten sein kann, wenn ich glücklich bin. So ist das in Beziehungen. Wir beschlossen also, uns ein Einkommen im Internet aufzubauen. Ortsunabhängig und selbständig zu werden. Ich arbeitete tagsüber an unseren Projekten, er abends oder am Wochenende, wenn er nicht in der Arbeit war.

Das Ziel war klar. Blieb noch der Weg.

Etwa ein Jahr bevor wir unsere Wohnung aufgaben, fing ich an, zu entrümpeln. Eine Tätigkeit, die ich als sehr positiv und befreiend empfinde – er mehr als nervenaufreibend und emotional belastend. Immer wieder unterbreitete ich ihm eine Auswahl an Dingen, die ihm gehörten. Kleidung in Stapeln, andere Sachen kistenweise. Ich habe ihn nie gedrängt, gewisse Dinge wegzugeben. (Außer jene Feuerzeug-Kiste.) Aber ich habe ihn gedrängt, sich zu entscheiden, ob er die wirklich behalten möchte, oder ob das weg kann. Anfangs blieben die meisten Sachen. Aus besagten Gründen. Doch nach und nach schien es ihm einfacher zu fallen, sich zu trennen. Am Ende waren wir so weit, dass sogar ich der Meinung war, er könnte zum Beispiel Kleidung noch brauchen, die er großzügig zur Kleiderspende weggab.

Denn ganz ehrlich, wenn man einmal verstanden hat, dass all die materiellen Besitztümer nicht glücklich machen, dann kann es wahnsinnig befreiend sein, sich von unnötigem zu trennen. Minimalismus nennt sich dieses Prinzip. Das bedeutet nicht, dass wir nichts besitzen. Aber es bedeutet, dass wir nicht mehr Kisten voller unnötigem Ballast im Keller oder in der Wohnung lagern. Wir haben, was wir brauchen und was uns wirklich gefällt. Mehr nicht.

Kein gemeinsamer Traum?

Vor kurzem wurde ich von einer lieben Blogger-Kollegin genau auf dieses Thema angesprochen. Sie hätte einen ähnlichen Traum wie ich, jedoch würde ihr Mann komplett abblocken. Sie fragte nach Tipps, wie sie ihn überreden könnte. Habe ich also solche Tipps? Gibt es die überhaupt? Kann man jemanden von so einem Leben überzeugen, wenn er es partout nicht will?

Ich glaube fest daran, dass Menschen sich verändern können. Jeder von uns tut es. Jeden Tag. Träume verändern sich. Die Vorstellung vom Leben verändert sich. Prioritäten und Werte verschieben sich mit jeder Lebenserfahrung, die wir machen. Woran ich allerdings nicht glaube, ist, dass wir andere Menschen verändern können. Oder sollten. Natürlich kann man jemanden emotional erpressen oder versuchen, zurechtzubiegen. Doch das wird immer nach hinten los gehen. Uns irgendwann einholen.

Was also hätte ich getan, wenn mein Mann nicht so einfach mitgemacht hätte? Wenn er darauf bestanden hätte, in unserem “sicheren” Leben zu bleiben? Ganz ehrlich, ich hätte das gut verstehen können. Ich persönlich brauche nicht viel finanzielle Sicherheit im Leben. Das liegt aber sicherlich mitunter auch an dem bedingungslosen Rückhalt durch meine Familie, den ich mein Leben lang erfahren durfte. An den stabilen Wurzeln, die ich von zu Hause mitbekommen habe. Und ist zudem Charaktersache. Viele Menschen benötigen mehr Sicherheit, um zufrieden zu leben. Ein Haus oder finanzielle Ersparnisse zum Beispiel. Einen festen Freundeskreis und konstante Örtlichkeiten. Diese Bedürfnisse kann ich gut verstehen, auch wenn ich sie nicht teile.

Wenn mein Mann also in Berlin hätte bleiben wollen, dann wäre ich ebenso geblieben. Auch wenn mein Traum nie ganz verschwunden wäre, so hätte ich doch ein gemeinsames Leben mit ihm darüber gestellt. Kompromisse gefunden. Einen kleinsten gemeinsammen Nenner, auf dem wir aufbauen können. Denn das war ein Traum, der längst Realität geworden war: Eine Familie mit dem Mann, den ich liebe. Alle anderen Träume müssen da hinten anstehen.

Mehr zu meinem Traum kannst Du in meinem Interview bei Diana (zweitoechter.de) lesen.

2 Kommentare zu „Von Realität und dem kleinsten gemeinsamen Nenner“

  1. Ich finde mich in deinem Text wieder. Ich wollte immer hinaus, etwas sehen, etwas erleben. Die Welt bereisen. Ich habe auch in Regensburg gelebt doch anstatt mich zu vergrößern bin ich aufs Dorf gezogen, habe ein Haus gekauft und Kinder gekriegt. Für meinen Mann ist es so perfekt, er hatte nie den Traum ortsunabhängig zu leben. Er ist familiär stark verwurzelt und braucht viel Sicherheit, vor allem finanziell. Ich hingegen möchte freier leben, materielle Dinge bedeuten mir nichts. Ich würde auf der Stelle alles verkaufen und um die Welt reisen. Er würde das jedoch nie tun. Wie sich diese Situation für uns löst weiß ich nicht. Ich weiß nur das ich meinen Traum nicht aufgeben werde und sehr hoffe das es irgendwann einen Kompromiss geben wird.
    Liebe Grüße
    Lila

    1. Danke, liebe Lila, für diesen Kommentar. Dann bist du wohl schon die zweite Bloggerin, für die ich diesen Text auch geschrieben habe.

      Deine Situation hört sich allerdings nicht minder schwierig an. Manchmal merkt man einfach erst sehr spät, wie eng das “normale” Leben sein kann. Als ich jung war, habe ich auch darauf hingearbeitet – Haus, Kinder, fester Job – ohne jemals zu hinterfragen, ob das für mich wirklich passt. Weil das halt alle so machen.

      Ich wünsche dir, dass ihr ZUSAMMEN einen Ausweg findet. Vielleicht könnt ihr ja die erste Lebenshälfte seinen Traum leben und dann, wenn die Kinder größer sind, den deinen?

      Liebe Grüße,
      Hanna

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