Unser Leben, so wie es für uns passt

Ich sitze mit meinen beiden jüngeren Kindern im ICE. Kleinkindabteil. Mir gegenüber eine Frau in meinem Alter mit einer 15 Monate alten Tochter. Wir reden ein wenig. Sie erzählt von ihrer Tochter. Vieles davon kenne ich von meinem ersten Kind. Der schlechte Schlaf. Die Unruhe. Die Anhänglichkeit. Die Überlastung. Krabbeln und Laufen vor allen Gleichaltrigen. Immer in Aktion. Ihre Tochter sei “zum Abgewöhnen” und sie sei unsicher, ob sie ein weiteres Kind möchte. Auch die Gedanken kann ich gut nachvollziehen, auch wenn ich so nicht über meinen Sohn gedacht habe. Der ist vor ein paar Tagen 8 Jahre alt geworden und heute kann ich den schweren ersten Jahren auch viel Gutes abgewinnen. 

Veränderung wider Willen

Denn tatsächlich hat sich unser Leben seit und durch die Geburt unseres ersten Sohnes vor mehr als 8 Jahren so unglaublich verändert. Als ich schwanger wurde, hatte ich einen ganz normalen Vollzeitjob im Personalwesen. Auch mein Mann hat “ganz normal” gearbeitet. Wir waren in einer Wohnung in Berlin, 64m². Hätte unser Sohn in dieses Leben gepasst, würden wir es vermutlich heute noch führen. 

Versteh mich nicht falsch, es spricht absolut nichts gegen ein solches Leben. Wenn es das ist, was einen glücklich macht. Und was zur Lebens- und Familiensituation passt. Ein ganz “normales” Leben mit einem oder zwei Gehältern, mindestens eins davon Vollzeit. Ein Haus oder eine Wohnung, am liebsten Eigenheim. Ein Auto oder zumindest eine Monatskarte. Betreuung der Kinder in Kita und Schule. Abends das Wohnzimmer aufräumen und die Wäsche aufhängen, weil man tagsüber nicht dazu gekommen ist. Brotboxen. Steingarten vor dem Haus. Schicke Couch. Flachbildfernseher. Die Kinder im Kinderzimmer, jedes in seinem Bett. So ein Leben meine ich. So eines hätten wir gehabt. 

Stattdessen leben wir ein ganz anderes Leben. Ein ungewöhnliches, viel langsameres und selbstbestimmter. Wir sind beide jeden Tag für unsere Kinder da, erleben viel von ihrer Kindheit mit. Wir haben uns ein Umfeld geschaffen – auf so vielen Ebenen – das zu uns und unseren Kindern passt, statt unsere Kinder passend zu machen. Nicht, weil wir uns das so überlegt hätten. Oder so tolle Eltern wären. Sondern, weil unser erstes Kind uns keine andere Wahl gelassen hat. Denn egal, was wir versucht haben, er hat sich nicht passend machen lassen. Dieses Kind kann man nicht verbiegen, nicht “erziehen”. 

Mit diesem Fakt habe ich lange gehadert. Überlegt, ob es vielleicht an mir liegt. Wie mein Leben wohl gewesen wäre, wenn ich so ein Kind hätte, das still mit am Tisch sitzt und tut, was wir ihm sagen. So ein Kind, wie ich mir vorgestellt hatte, dass Kinder sind – bevor ich selbst welche hatte und festgestellt habe, dass sehr wenige Kinder wirklich so sind. Wenn auch die meisten trotzdem weniger aktiv sind als meiner. Weniger fordernd.  

Alles hat seine Zeit

Doch wenn Du mich heute fragst, kann ich Dir folgendes sagen: Dieser Junge war anstrengend, keine Frage. Ist es manchmal heute noch. Doch er ist auch ein Geschenk. Eine Gelegenheit zur Weiterentwicklung. Zur Veränderung. Für seine beiden kleinen Brüder hat er sozusagen den Weg bereitet. Denn auch sie profitieren natürlich von unserer Lebenssituation, von dem Leben, das wir uns geschaffen haben. 

Und er selbst scheint seit einiger Zeit auch endlich angekommen in dieser Welt. In seinem Leben. Lange hatte ich das Gefühl, dass er unzufrieden ist, er wirkte ständig getrieben und unruhig. Doch vor nicht allzu langer Zeit schien der Knoten zu platzen. Nun ist er ein fröhlicher blonder Lockenkopf im Grundschulalter, für den regelmäßig der Tag zu kurz ist, weil er noch so viel vor hatte. Das Leben mit ihm ist leicht geworden. Schön. Nur noch manchmal anstrengend. Ich freue mich, möglichst viel Zeit mit ihm zu haben. 

Arbeiten, wie es für uns passt

Denn dieses Recht haben wir uns eingeräumt. Zeit mit den Kindern zu verbringen. Wir arbeiten so viel es geht, aber manchmal geht es ein paar Tage auch gar nicht. Oder ein paar Wochen. Wer uns schon länger folgt, hat sicherlich auch den Weg dahin verfolgt. Wie wir unsere Wohnung in Berlin aufgegeben haben, unsere Jobs gekündigt und mit einem Kofferraum voll Habseligkeiten zu meinen Eltern nach Bayern sind. Wie wir mit einem großen Wanderrucksack nach Südostasien aufgebrochen und von Bali aus mein Online-Business vorangetrieben haben. Wie wir nach 9 Monaten zurückgekommen sind, weil ich schwanger war und immer wieder Blutungen hatte. 

Eigentlich wollten wir wieder los, wenn das Baby (heute ist er 4 Jahre alt) aus dem Gröbsten raus ist. Und dann kam Corona. Lockdown, weltweiter Stillstand. Danach durfte man nur reisen, wenn man sich impfen lässt. Und schließlich wurde der Große eingeschult. Die Zeit für unser ortsunabhängiges Leben erst einmal abgelaufen. 

Also haben wir unser Leben wieder so eingerichtet, wie es für uns passt: 

Wir sind in mein Elternhaus gezogen, gegenüber vom neu gebauten Haus meiner Eltern. Alle zusammen auf einem Hof. Wir haben meine Brüder ausgezahlt und sind jetzt Hausbesitzer. Beauftragen Handwerker und suchen Fliesen aus. Mähen den Rasen und jäten Unkraut. Und arbeiten dazwischen von einem kleinen Büro im 1. Stock. Immer dann, wenn es passt und der andere auf unser mittlerweile drittes Baby aufpassen kann. Zwischendurch hatte der Mann auch mal einen “normalen” Job in einer Firma in München. Sein Arbeitsort hat sich trotzdem nicht verändert und schließlich mussten wir einmal mehr feststellen, dass das momentan einfach nicht passt. Also arbeitet er wieder an eigenen Projekten. Dann, wenn es gerade passt. 

Arbeit und Hobby

Das schöne daran ist, dass für mich “Arbeit” und “Hobby” meistens verschwimmen. Ich liebe, es zu schreiben. Alleine in einem Raum am Laptop zu sitzen und konzentriert zu tun, was ich liebe, fühlt sich nicht wie Arbeit an. Das ist wie Freizeit. Und so kann es schon mal vorkommen, dass wir und nach einigen Stunden “arbeiten” am Stück beim anderen bedanken, der in der Zwischenzeit die Kinder hatte. 

Ein guter Teil meiner Arbeit ist es mittlerweile auch, baby- oder kindgerechte Gerichte zu kochen und zu fotografieren – um dann ein entsprechendes Rezept online zu stellen. Auch das lässt sich perfekt mit meinem Alltag mit Kindern verbinden, denn irgendwer muss das ganze gesunde Zeugs ja essen. Und zufällig ist es mir ja ohnehin ein Anliegen, den Kindern möglichst vollwertige und gemüsereiche Mahlzeiten vorzusetzen (was nicht bedeutet, dass sie viel oder überhaupt davon essen!). 

Was mir aber die letzten Wochen bewusst geworden ist: Aus Zeitmangel habe ich die letzten Jahre einen wichtigen Teil dieses Arbeits-Hobbys schleifen lassen. Diesen Blog nämlich, mit dem alles angefangen hat, damals Ende 2014. Denn andere Seiten waren schnell größer geworden und monetär wichtiger. Darum habe ich die wenige Arbeitszeit, die ich zur Verfügung habe, darauf verwendet. Macht ja auch Sinn. Aber langsam wächst das Bedürfnis in mir, nicht mehr nur Texte zu schreiben, die voraussichtlich auf Google ranken werden – sondern solche, die mir wirklich Freude bereiten. Ich hoffe, ich finde die Zeit dazu. 

Viel Raum, viel Natur

Und warum nun haben wir uns, von allen Orten auf der Welt, an denen man sein kann, genau diesen ausgesucht? Immerhin könnten wir unser Kind auch aus Deutschland abmelden und irgendwo Homeschooling, Worldschooling oder was es alles gibt, machen? Wir haben uns ein ortsunabhängiges Business aufgebaut, können von überall aus auf der Welt arbeiten. Wir konnten uns also frei entscheiden, welches Leben wir wollen. Und haben festgestellt, dass es für einige Mitglieder unser Familie das Beste ist, ein nach außen hin “normales” Leben zu haben. Der Große geht gern zur Schule und darf dort relativ frei lernen und sich entwickeln. Er besucht eine Montessorischule, kommt nächstes Jahr in die dritte Klasse. In manchen Bereichen ist er dem Lehrplan weit voraus, in anderen hinkt er weit hinterher. DAs ist okay und diese Tatsache sorgt dafür, dass er weiterhin gerne lernt. So verschlingt er zum Beispiel täglich ein Buch (“Beast Quest”, über 100 Seiten / Buch), liest besser vor als ich in der Kollegstufe und rechnet in der Schule gerne. Das Schreibheft dagegen liegt dauerhaft in der Ecke und er weigert sich, etwas anderes als Druckbuchstaben zu schreiben – hauptsächlich große Druckbuchstaben. 

Auch für die kleinen Brüder halten wir es für gut, wenn sie an einem festen Ort aufwachsen dürfen. Vor allem unser zweiter ist nicht so ein Action-Kind wie der erste. Er genießt es nicht, jeden Tag neuen Input zu bekommen, sondern liebt das Gewohnte, die Wiederholungen. Er ist ausgeglichen, wenn er seine Routinen hat und nur hin und wieder etwas Neues oder eine Ausnahme dazu kommt. Der Große dagegen war lange Zeit das Gegenteil: Je mehr wir unterwegs waren, desto einfacher war das Leben mit ihm. 

Auch ein fester Freundeskreis und die Unterstützung durch meine Eltern hier war natürlich ein großes Argument. Vor allem Zweiteres. Denn wenn ich eins mit meinen Kindern gelernt habe: Wenn wir uns das Leben einfach machen können, sollten wir das tun. Ohne schlechtes Gewissen, ohne Zögern. Jede Hilfe annehmen. Und hier sind nicht nur meine Eltern, auch gute Freunde kommen regelmäßig vorbei. Freunde mit weniger oder keinen Kindern, die mal ein paar Minuten auf das Baby aufpassen oder den Großen mit ins Schwimmbad nehmen. Aber selbst, wenn jemand nur ein wenig Gesellschaft leistet und die Kinder zusammen spielen – hier ist einfach der perfekte Ort dafür. 

Das Grundstück ist riesig und hier ist kein Steingarten, keine perfekt geschnittene Hecke oder englischer Rasen. Hier dürfen Kinder Kinder sein, von Beerensträuchern naschen, auf Bäume klettern und Kirschkernweitspucken veranstalten. Der Sand muss nicht im Sandkasten bleiben, weil der Sandhaufen ohnehin keine richtige Begrenzung hat. Wenn es Abends bei uns essen gibt, ist es nicht ungewöhnlich, dass irgendwer wie selbstverständlich mitisst. Sei es mein bester Freund, eine befreundete Familie oder eine Freundin meiner Mama. Wenn möglich, essen wir draußen und kochen frisch Geerntetes aus dem Garten – und es ergibt sich im besten Fall eine fröhliche Runde, bis die Kinder ins Bett müssen. 

Aber auch im Winter ist hier viel Platz, das Haus ist riesig und wenn das nicht reicht, haben wir noch ein zweites Gegenüber. In den letzten Jahren hat sich zwischen meinen Eltern viel verändert und die beiden sind mittlerweile geschieden. Trotzdem leben beide überwiegend hier am Hof und mindestens einer bewohnt das Haus gegenüber. Und zwischen uns und meinen Eltern hat sich nichts geändert. 

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