Attachment Parenting – “Wir machen Bonding und so”

Bevor ich schwanger wurde, hatten mein Mann und ich uns wenig mit dem Thema Kinder und Erziehung oder Ähnlichem auseinandergesetzt. Auch während der Schwangerschaft haben wir keine Erziehungsratgeber gelesen und ich hatte nur die üblichen Schwangerschafts-Ratgeber zu Hause. Seit unser Rubbelbatz nun da ist, versuchen wir – wie alle Eltern – unser Bestes, damit es ihm bei uns gut geht und er ein glückliches Aufwachsen hat. Aber was ist das Beste? Diese Frage kann am Ende des Tages jede Familie nur für sich allein entscheiden. Der Weg, den wir eingeschlagen haben, so musste ich kürzlich feststellen, trägt einen Namen, der derzeit absolut im Trend liegt: Attachment Parenting.

 

Meinungskonflikt zur Kindererziehung

Vor allem beim ersten Kind ist es wirklich schwierig, zu entscheiden, welchen “Ratschlägen” man folgt. Da ist die eigene Kindheit und Erziehung, die man erfahren hat. Teilweise wollen wir Dinge absolut nicht so machen, wie unsere Eltern, andere fanden wir gut oder hatten wir noch nie reflektiert und einfach übernommen. Dann gibt es da “die Gesellschaft” und bestimmte Verhaltensweisen, die wir aus dem Alltag kennen und für den einzigen oder den angemessenen Weg gehalten haben. Windeln zum Beispiel oder Kinderwägen. Dann gibt es da natürlich den Gynäkologen, den Kinderarzt und die Hebamme. Oder wie in unserem Falle drei Hebammen – und jede hat eine andere Meinung, was zu tun ist. Sogar von wildfremden Menschen, mit denen ich nur kurz im Gespräch war, musste ich mir schon anhören, dass mein Kind nie im Kinderwagen ruhig bleiben würde, wenn ich es herausnehme und trage, wenn es weint. Das Todschlagargument von älteren Frauen ist dann immer “Bei meinem Sohn/ meiner Tochter habe ich auch xy gemacht, heute ist sie 30 Jahre alt und es hat ihr/ihm auch nicht geschadet / es ist auch was aus ihr /ihm geworden.” Woher willst du denn wissen, dass es ihr nicht geschadet hat??? Diese Rückfrage spare ich mir meistens. Jede Mutter sollte ihren eigenen Weg finden dürfen und im Nachhinein kein schlechtes Gefühl dafür eingeredet bekommen.

Wir haben also für unseren Rubbelbatz einen Kinderwagen gekauft, ein Beistellbettchen und uns gefreut, dass wir ihm gleich ein Kinderzimmer bieten können. Als er geboren wurde, hat ihm die Hebamme eine Windel angelegt und die Kinderärztin hat uns Tabletten für ihn mit nach Hause gegeben. Bei der U3 haben wir uns einen Termin für die 6-fach-Impfung geben lassen, wenn er 8 Wochen alt ist. Über keines dieser Dinge haben wir groß nachgedacht.

Im Umgang mit dem Kleinen dagegen hatten wir von Anfang an unsere eigene Art, die meiner Meinung nach die ganz natürliche Reaktion von Eltern auf ihr Baby ist: Wann immer er geweint hat, haben wir ihn in den Arm genommen und nach Möglichkeiten gesucht, wie er sich wieder wohl fühlt. Wenn er an die Brust wollte, egal ob er vor 15 Minuten erst getrunken hatte, dann durfte er das. Weil er nachts am besten schlafen kann, wenn er ganz eng an mich gekuschelt ist und ich ihm beim Einschlafen den Kopf kraule, hat er bisher kaum im Beistellbettchen geschlafen. Auch das Kinderzimmer ist lediglich ein Wickelzimmer, es würde momentan nicht in Frage kommen, ihn dort abzulegen. Mein Mann hatte von Anfang an etwas gegen den Kinderwagen. Er konnte nie so genau sagen, warum, aber er wollte den Rubbelbatz schon immer lieber in unserer Glückskäfer-Trage mit nach draußen nehmen. Ich war die ersten Wochen dafür ohnehin noch zu schwach und habe es oft im Kinderwagen versucht. Mittlerweile steht dieser mehr und mehr ungenutzt in unserem Flur.

All das war für uns selbstverständlich und alle Hebammen, Ärzte, meine Eltern, bestätigten uns in unserem Tun – bis unsere dritte Hebamme zu uns kam und uns richtig verunsicherte. Wir wären viel zu nervös im Umgang mit dem Kleinen, das würde ihn auch nervös machen. Wir hätten Angst, unser Kind könnte schreien und würden ihn deshalb unruhig durch die Wohnung tragen. Das ständige Stillen würde weder ihm noch mir gut tun (das sagt übrigens auch meine richtige Hebamme, die ich sehr schätze) und wir bräuchten einen Stillrhythmus. Das würde die Verdauung weniger belasten und er würde lernen, dass es auch noch andere Arten der Beruhigung gibt, als die Brust. Zum ersten Mal war ich wirklich verunsichert, was den Umgang mit meinem Baby anging. Wir versuchten, ihren Ratschlägen zu folgen – ein Desaster, wir haben es schnell wieder gelassen. Es hat sich einfach falsch angefühlt und uns alle drei wahnsinnig verunsichert.

 

Also doch: Wir machen Attachment Parenting

Seitdem haben wir Schritt für Schritt doch angefangen, uns auch mit der Theorie, was für Babys und Kinder denn nun “falsch” und “richtig” sei, auseinanderzusetzen. Schnell haben wir festgestellt, dass es, entgegen unseres bisherigen Eindrucks, durchaus vor allem in unserer Generation viele Verfechter unseres Vorgehens gibt und das ganze auch einen Namen trägt: Attachment Parenting. Diese “Methode” besagt, dass viele ‘Errungenschaften’ unserer Gesellschaft im Umgang mit Babys und Kindern relativ neu in der Menschheitsgeschichte und darum wenig natürlich und förderlich sei. Viel natürlicher als ein Kinderwagen ist es zum Beispiel, das Baby zu tragen. Das gibt ihm Sicherheit und fördert die Verbindung zwischen Eltern und Kind. Auch ein eigenes Bett für das Baby, ggf. in einem eigenen Zimmer, ist in der Entwicklungsgeschichte der Menschheit und auch in anderen Kulturen nicht vorhanden. Ein Baby ist nicht, wie oft angenommen, völlig hilf- und sprachlos. Es kann signalisieren, wann es welche Bedürfnisse hat und die Eltern können darauf reagieren – vorausgesetzt, sie bemerken und verstehen die Signale. Diese Art der “bindungsorientierten Erziehung” zielt auf den respektvollen, verständnis- und liebevollen Umgang mit dem eigenen Kind, um es auf natürliche Weise im Prozess des älter und erwachsen werdens zu begleiten. Es geht nicht darum, ein “richtig” und “falsch” zu propagieren, denn für jedes Baby ist das anders. Vielmehr geht es darum, seinem Instinkt zu vertrauen und dem eigenen Kind, das uns seine Bedürfnisse mitteilt. Für manche Babys kann es durchaus angenehm sein, mal eine Weile abgelegt und nicht beachtet zu werden – für andere ist das die schlimmste Strafe. Es gibt also kein “Erfolgsrezept”, wie das Kind möglichst schnell lernt und möglichst wenig Stress macht. Der Weg ist das Ziel.

Paradoxerweise mussten wir erst hören bzw. lesen, dass es richtig ist, unserem Instinkt zu vertrauen, bevor es sich wirklich richtig anfühlte. Seitdem habe ich aufgehört, dem Baby etwas “beibringen” zu wollen. Ihn versuchsweise ins Beistellbett zu legen, im Kinderwagen zu lassen oder von der Brust abzulenken – denn “sonst will er ja ewig im Elternbett schlafen” / “immer getragen werden” / “ständig trinken” und wie die gängigen Ratschläge alle lauten. NATÜRLICH WILL ER DAS!!! Natürlich möchte ein Baby von seinen Eltern sicher getragen werden und ganz nah bei ihnen sein, natürlich möchte er nicht nur bei Hunger, sondern auch zur Beruhigung trinken und nachts nicht alleine im dunkeln sein! Er möchte getröstet werden, wenn er weint, er weint ja nicht aus Spaß daran! Es handelt sich dabei um wichtige Bedürfnisse unseres Kleinen und wenn er sie signalisiert, werden wir darauf eingehen. Und wenn er diese Erfahrung macht, wird er sie natürlich beim nächsten Mal wieder, ggf. durch Weinen, wenn wir es anders nicht verstehen, signalisieren! Nur wenn wir ihn oft genug ignorieren, wird er aufhören, danach zu fragen. Das hat nichts mit Verständnis oder Erziehung zu tun. So ein kleines Baby kann doch noch gar nicht verstehen, warum es jetzt mal nicht getröstet wird, sondern brüllend im Kinderwagen gelassen wird. Es kann nur mit der Zeit verstehen, dass es sich nicht lohnt, dieses Bedürfnis durch Weinen oder andere Signale anzuzeigen – weil es ohnehin nicht erfüllt wird. Das heißt NICHT, dass es dieses Bedürfnis nicht mehr hat! Das ist, wie mein Papa sagt, “reine Konditionierung”. So erzieht man Hunde. Damit sie künftig das tun, was für die Herrchen am bequemsten ist.

Ein Kind, das in einen Raum gelegt und weinen gelassen wird, fühlt sich nicht sicher gebunden – und dass eine sichere Bindung essentiell für eine gesunde psychische Entwicklung ist, ist wissenschaftlich erwiesen.

Zu wissen, dass das, was wir instinktiv tun und für richtig halten, nicht ganz so falsch ist, hat uns im übrigen auch in anderen Entscheidungen bestärkt. Wir geben dem Rubbelbatz zum Beispiel in den hellen Sommermonaten kein zusätzliches Vitamin-D, auch wenn die Ärzte das wollen. Den Termin zur 6-fach-Impfung haben wir abgesagt und zur Zeit darf der Kleine immer öfter ohne Windel strampeln und seinen Körper ganz kennenlernen. Wenn er mal groß muss, holen wir das Töpfchen, das wir seit einiger Zeit zu Hause haben – für alles andere wird ein Handtuch und eine Wickelunterlage verwendet. Sein Papa sagt seitdem ganz stolz, wenn er den Kleinen im Tragesack hat, er macht jetzt Bonding. Und darin ist er ziemlich gut.

 

Die sieben Prinzipien von Attachment Parenting

Diese möchte ich hier nur kurz auflisten – die meisten davon haben wir, wie gesagt, intuitiv praktiziert.

  1. Stillen nach Bedarf
  2. Augen- und Körperkontakt gleich nach der Geburt
  3. Körperkontakt und Tragen
  4. gemeinsames Schlafen
  5. Verzicht auf “Trainings”
  6. Beachtung der Signale des Kindes
  7. Balance zwischen Bedürfnissen von Kind und Eltern

 

Den Ratschlägen zum Trotz

In unserer Generation gibt es immer mehr Eltern, die diesem Weg folgen möchten und so auf der Suche nach dem “Besten” für ihre Kinder sind. Eine Schwierigkeit, von der viele dieser Eltern berichten, ist das rechtfertigen dieses Denkansatzes gegenüber Eltern, die eben die oben beschriebenen Meinungen vertreten. Und das, ohne sich anzuhören, wie die reinsten Öko-Eltern oder Körnerfresser, wie wir uns in letzter Zeit liebevoll selbst betiteln. Das erfordert viel mehr Stärke, als das Anwenden der Grundsätze selbst. Das, was Attachment Parenting vorschlägt, ist nämlich eigentlich das natürlichste der Welt und der Grund, warum wir Kinder bekommen: wir wollen für sie da sein und sie liebevoll und respektvoll beim Wachsen begleiten.


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2 Kommentare zu „Attachment Parenting – “Wir machen Bonding und so”“

  1. Sehr schön geschrieben. Bei uns wird / wurde man für seine eigene Meinung oft komisch angeschaut bzw belächelt zb Stillen nach Bedarf nicht nach Uhr, Kind tragen, Kind bei uns im Bett schlafen lassen … Wir haben seit 13 Jahren Kinder im Bett und ich genieße es, wenn es auch oft eng ist. Die Zeit alleine zu sein wird kommen , dann können wir es sicher auch genießen. Ich bin sehr stark dafür, auf sein Kind einzugehen, man lernt immer dazu, wenn es etwas gut für das eine ist , ist es noch lange nicht gut für das andere, zum Glück ist jedes ein Individuum. LG

  2. Hey, freut mich dass ihr euren Weg gefunden habt und ihn auch gehen könnt! Das mit der dritten Hebamme ist ja echt krass… ich war nach der ersten Schwangerschaft so mega verunsichert und ich hatte ein sehr schwieriges anhängliches Kind – war ja natürlich meine Schuld dass man das nie ablegen konnte und so 😉 Jeder hat sich reingehängt und mich zu Tode genervt mit Tipps, Zeitungsartikeln und ja, auch Vorwürfen. Was man sich als Neumama so anhören muss ist echt ein Unding… Wünsch euch alles Gute! LG Frida

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